- 335 -Enders, Bernd (Hrsg.): KlangArt-Kongreß 1993: Neue Musiktechnologie II 
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5. Fragen der Anschaffung und der Strategie von Entwicklern und Firmen


Mit dem Einsatz immer leistungsfähigerer und preiswerterer Hard- und Software haben sich neue Möglichkeiten computerunterstützter Präsentation von Lern- und Unterrichtsstoff eröffnet. Diese rasante Entwicklung mit ihren unbestreitbaren Vorteilen für die Benutzer wirft jedoch für eine musikpädagogisch orientierte Benutzung auch Probleme auf, die hier nicht verschwiegen werden sollen:

MIDI-Computeranlagen und ernstzunehmende Lernsoftware finden hierzulande vielfach in öffentlichen Institutionen (Musikschulen, Schulen, Hochschulen etc.) Anwendung. Deren Anschaffungs- und Erneuerungszyklen verlaufen aber in gemächlicheren Frequenzen als die technischen Erneuerungszyklen in der Mikroelektronik. Nimmt man dazu die Unfertigkeit oder Störungsanfälligkeit von Produkten, die unter Konkurrenzdruck auf den Markt geworfen wurden ("Diese Funktion ist leider noch nicht verfügbar") und die den Anwender ganz unverfroren als Beta-Tester mißbrauchen, wird die Problematik des Einsatzes aktueller Hard- und Software im einem aus Steuergeldern finanzierten und auf Kontinuität angewiesenen Lehrbetrieb deutlich.

Was nützen dem Musiklehrer z.B. die schönsten pädagogischen Eigenschaften eines CD-I-Systems, wenn er nicht weiß, ob sich die Norm durchsetzt, ob also langfristig ein zufriedenstellendes Angebot an Software zur Verfügung stehen wird, und ob beim ersten Schaden nach Ablauf der Garantie der Händler nicht längst auf Videospiele umgesattelt hat und bedauernd auf den Hersteller in Japan verweist?

Getreu dem Grundsatz, daß das Bessere der Feind des Guten sei, verfährt auch die Hard- und Software-Industrie. Neue Rechnertypen, aus marktstrategischen Gründen als ultimative Knüller hochgejubelt, werden nach einigen Jahren als überholte alte Kisten belächelt. Der Benutzer, der begrenzte und genau umrissene Anforderungen an seine Hard- und Software hat, die sich auch im Verlauf von zehn Jahren nicht entscheidend ändern, und der über diesen Zeitraum seine Anlage störungsfrei bzw. mit zufriedenstellendem Support betreiben will -, nicht mehr und nicht weniger - scheint in den Gedankengängen der Entwickler und den Prospekten der Hersteller kaum vorzukommen - aus naheliegenden Gründen ("An diesem Programm haben wir leider die Produktpflege eingestellt"). Fortschritt kehrt sich aber in sein Gegenteil um, wenn er sich nicht mehr am Benutzer orientiert, dem alle Neuerungen angeblich zugute kommen sollen.

Das Dilemma liegt bei einem so jungen Bereich der technischen Entwicklung, wie es die Computertechnologie ist, vielleicht in der Natur der Sache: echte Innovatoren dürfen nicht nur nach der direkten Anwendbarkeit schielen. Gerade darum sei aber an dieser Stelle an Sie, die Musikpädagogen, appelliert, ihre Interessen zu artikulieren und sich angebliche Marktzwänge der Hersteller und Entwickler nicht zur Richtschnur pädagogischer Entscheidungen machen zu lassen. Nicht alles technisch Machbare ist pädagogisch sinnvoll, und in den Disziplinen Kontinuität, Geduld und langer Atem können Programmierer und Hersteller noch eine Menge von Ihnen lernen.


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