- 122 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (121)Nächste Seite (123) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

niemals aufgeben würde. Wer den Verlust von Abführtabletten beklagt, scheint für die Revolution noch nicht gerüstet. Gleichzeitig entsteht eine ironische Wirkung aus der Diskrepanz zwischen pseudo-orientalischer Musiksprache und der vertrauten Umgebung des Hauses (Felder und Wald), da sich die Karawane eben nicht im Orient bewegt, sondern in den heimischen Gefilden.

Die Internatonale erklingt im Film an mehreren Stellen, was an späterer Stelle noch zu untersuchen sein wird. Zunächst soll die Grappelli-Version als Gegenstand der musikdramaturgischen Analyse dienen. Grappelli verfremdet den Refrain des Stückes, indem er die Hauptfunktionen Tonika, Subdominante und (Zwischen-)Dominante mit Mollseptakkorden anreichert. Parallel zu diesen harmonischen Veränderungen wählt er einen 3 /4-Takt. Hinzu kommen schließlich noch die jazztypischen Phrasierungen Grappellis.



Diese Veränderungen wandeln den ursprünglichen Marschgestus des sozialistischen Hymnus in die freundliche Untermalung eines Sonntagsspaziergangs des Bürgertums um, da Malle die Musik montiert, als die Picknickrunde sich die Beine vertritt. Dennoch sind sich das Bürgertum und die Arbeiterschaft in dieser Stelle indirekt nahe, da die Familienmitglieder von revolutionären Ideen schwärmen. Die Musik trägt diesem Umstand Rechnung, indem sie das Kampflied der Arbeiterbewegung mit dem Tanz des Bürgertums verbindet: die Internationale als Wiener Walzer. Die Verfremdung lässt jedoch an der Realisierung und der Umsetzbarkeit der postulierten Utopien Zweifel aufkommen: Jegliche politische Schärfe ist der Hymne genommen, indem sie zu einem Stück unterhaltsamer Tanzmusik degradiert wird. Parallel dazu erscheinen die revolutionären Bestrebungen der bürgerlichen Klasse fragwürdig, wenn sie die eigentliche arbeitende Bevölkerung übersieht: Während Léonce seit Stunden in der Sonne schuftet und das Grab für die Verstorbene aushebt, proklamiert der aufgeblasene Pierre-Alain das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Arbeiters.

Bezeichnend ist die Funktion der Musik an dieser Stelle: Sie karikiert die Bestrebungen und Träume der Personen, versöhnt aber gleichzeitig die verschiedenen Klassen; ein Prinzip, was sich, laut Kilb, auf den ganzen Film anwenden lässt: »›Eine Komödie im Mai‹ ist die Zurücknahme der ›Spielregel‹. Wo Renoir die Konflikte verschärft, die Abgründe zwischen den Klassen und Menschen noch tiefer aufreißt, treibt Malle sie einer sanften Versöhnung zu.«296

296
Kilb (1990)


Erste Seite (i) Vorherige Seite (121)Nächste Seite (123) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 122 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?"