- 144 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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»Sie filmten reale Personen in realen Situationen. Der Filmemacher ist kein Regisseur, der Anweisungen gibt, sondern ein Beobachter – im Idealfall sein eigener Kameramann –, der Ereignisse, die sich auch ohne ihn abgespielt hätten, aufzeichnet. Er läßt nichts wiederholen, er macht (in der Regel) keine Interviews.«340

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Roth, Wilhelm: Der Dokumentarfilm seit 1960. München/Luzern: Bucher 1982, S. 11

Entscheidend für Malle war das Improvisieren, das Fehlen eines Drehbuchs. Er begab sich mit seiner Crew nach Indien, ohne einen genaueren Plan zu haben, was zu filmen sei und ohne eine vorgefasste Reiseroute zu haben. Es wurde gefilmt, was interessant und überraschend erschien, während erst am Schneidetisch das gewonnene Material organisiert wurde: »Es ist ein Kino des Instinkts, der Improvisation, ein Kino der Gegenwart: Etwas geschieht, und du versuchst es einzufangen. Dann überprüfst du, was du hast und warum du es gerade so gefilmt hast.«341

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Malle in French (1998), S. 210
An anderer Stelle vergleicht Malle diesen Vorgang mit der écriture automatique, mit dem Prinzip des automatischen Schreibens.342
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Vgl. Prédal (1989), S. 77
Malles Rolle in der Arbeit mit der Crew beschreibt Jean-Claude Laureux wie folgt:

»L’intervention de Louis là-dedans: d’abord il avait une caméra aussi, une petite Beaulieu, donc il faisait des plans aussi de son côté et, en fait, c’est essentiel le travail du metteur en scène, on a l’impression qu’il ne fait rien, mais en réalité il fait tout. En réalité, s’il n’est pas là, il ne se passe rien. C’est lui qui voit les choses, c’est lui qui nous met dans un état de réceptivité, il nous manipule un peu comme des acteurs.«343

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»Louis’ Funktion: zunächst einmal hatte er auch eine Kamera, eine kleine Beaulieu, mit der er selbst Aufnahmen machte. Und seine Arbeit ist wirklich wichtig: Man hat immer den Eindruck, dass der Regisseur nichts tut, aber in Wirklichkeit macht er alles. Wenn er nicht da wäre, würde nichts geschehen. Er ist es, der die Dinge sieht, er ist es, der uns in eine gewisse Aufnahmefähigkeit versetzt; er manipuliert uns ein wenig wie Schauspieler.« (Interview mit dem Verfasser, 4. 4. 2001)

Malle hatte mit seinen Indien-Filmen keinen anderen Anspruch, als subjektive Impressionen zu filmen, wobei er teilweise selber nicht wusste, warum er einzelne Dinge fotografierte. Er verfolgte jedoch nicht irgendwelche anderen Absichten; Calcutta sei kein »film militant«, wie René Prédal bemerkt: »[. . . ] sa nouveauté consiste à présenter directement les faits sans les mettre au service d’une démonstration.«344

344
»Die Neuartigkeit des Films [Calcutta] besteht darin, dass auf direktem Wege Tatsachen präsentiert werden, ohne diese jedoch in den Dienst einer Beweisführung zu stellen.« (Prédal (1989), S. 77)
Dementsprechend unaufdringlich gestalten sich auch Kameraarbeit und Montage; in keiner Arbeitsphase werden Effekte verwendet, man findet weder rasante Kamerafahrten oder Zooms, noch die Schaffung künstlicher Sinnzusammenhänge bei der Montage. Dieses Minimalziel der reinen Präsentation ohne weitere Belehrungen oder didaktische Ansätze, das Eingestehen der Unfähigkeit, Indien erklären zu können, aber auch die Tatsache, dass die Präsenz der Kamera nicht verheimlicht

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