- 145 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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wird,345
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Zu Beginn der Dreharbeiten hatte Malle sogar die Idee, Kameramann Becker und Toningenieur Laureux während des Drehens zu filmen, um die Idee der ›unsichtbaren Kamera‹ zu entmystifizieren. Vgl. Comolli/Narboni/Rivette (1969), S. 34
deuten auf ein hohes Maß an Ehrlichkeit hin, das sich – wie zu zeigen sein wird – auch auf der auditiven Ebene bestätigt.

Norbert Jürgen Schneider entwirft in seinem Werk Handbuch Filmmusik II. Musik im dokumentarischen Film das Begriffspaar ›Innere Realität‹ – ›äußere Realität‹346

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Vgl. Schneider (1989), S. 22 ff.
, welches jeweils extreme Pole beschreibt, zwischen denen sich ästhetische Formen dokumentarischer Filme, aber auch deren Musik/Filmklang ansiedeln lassen. ›Äußere Realität‹ meint einen Pol filmischer Realität, der eine der alltäglichen Wahrnehmung angenäherten Perspektive entspricht. Gestalterische Maßnahmen wie Schnitt, Montage und künstlerische Kameraarbeit werden auf ein Minimum reduziert. ›Innere Realität‹ bezeichnet dagegen den Pol filmischer Realität, in dem die Perspektive stark gestaltet ist und nicht der alltäglichen Wahrnehmung entspricht.

Wie bereits oben erläutert, nähert sich Malle visuell in seinen Dokumentarfilmen über Indien stark dem Pol ›äußere Realität‹ an. Es wird im Folgenden zu analysieren sein, wie Malle auf auditiver Ebene verfährt.

  Der Filmklang in den Dokumentarfilmen347
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Es wird an dieser Stelle bewusst der Begriff ›Filmklang‹ verwendet, der sowohl Musik, aber vor allem auch Geräusche und Sprache meint.

»Bis zum Beginn der sechziger Jahre herrschte im Dokumentarfilm die Ästhetik des Stummfilms. [...] Zwar benützt auch der Dokumentarfilm der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre den Ton, da aber wegen der unhandlichen Technik Originalton in der Regel nicht möglich war [...], dominierte der Kommentar. Geräusche und Stimmen wurden nachträglich hinzusynchronisiert. [...] Viele Dokumentarfilme dieser drei Dekaden glichen eher Bildgedichten als Reportagen oder Dokumentationen im journalistischen Sinne.«348

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Roth (1982), S. 9

Die neuen Strömungen im Genre des Dokumentarfilms (es wurden bereits cinéma direct und cinéma vérité erwähnt) zu Beginn der 60er-Jahre wurden im Wesentlichen von zwei Aspekten bestimmt: einerseits durch eine allgemeine Aufbruchstimmung Ende der 50er-Jahre, die sich in mehreren Ländern parallel vollzog und die den herkömmlichen Produktionsstrukturen und alten ästhetischen Konzepten den Kampf ansagte. So entstand in Frankreich die Nouvelle Vague, bereits vorher die Bewegung des Free Cinema in Großbritannien und wenig später in Deutschland der Junge Deutsche Film, welcher im Oberhausener Manifest 1962 proklamiert wurde. Andererseits bewirkte die technische Entwicklung der Filmgerätschaften das Entstehen einer neuen Soundästhetik. Ab den frühen 60er-Jahren war das Drehen mit einer handlichen 16mm-Kamera (im Falle der Malle-Dokumentationen eine Eclair 16) und synchrone Tonaufnahmen durch ein mittels Kabel mit der Kamera verbundenes Tonbandgerät möglich.

Die gesamten Indien-Dokumentationen sind mit ›son direct‹ gedreht, d. h. alle zu hörenden Geräusche, Klänge, Stimmen und Musikstücke wurden von Jean-Claude


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