- 146 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Laureux während der Reise aufgezeichnet. Schneider siedelt entsprechend der Zuordnung auf der Bildebene eine derartige Auswahl an Filmklangs in der äußeren Realität an (»Akustisches Repertoire der gegebenen Wirklichkeit bei minimaler Gestaltung«).349
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Schneider (1989), S. 24
Prédal sieht in dieser selbst auferlegten Beschränkung auf den ›son direct‹ eine neue Ästhetik: »Aucune séquence n’est composée d’images muettes assorties de sons d’ambiance car de ces contraintes du ›direct‹ à l’état brut, Malle tire une esthétique nouvelle.«350
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Prédal (1989), S. 74 ff. (»Keine Sequenz besteht aus stummen Bildern, die mit Atmosphären-Klängen versehen ist, denn Malle nutzt die Zwänge des ›direct‹ im Rohzustand, um eine neue Ästhetik zu kreieren.«)

›Son direct‹ bedeutet jedoch nicht automatisch ›son synchrone‹, so dass an manchen Stellen der Serie L’Inde fantôme die Musik weitergeführt wird, obwohl die Tonquelle augenscheinlich nicht mehr im Bild ist. Zudem sind die eigens von Louis Malle mit seiner Beaulieu gefilmten Passagen mit extern montierten Geräuschen oder Musik belegt, da diese Kamera nicht mit dem Tonbandgerät gekoppelt war.351

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Louis Malle in Comolli/Narboni/Rivette (1969), S. 60: »Presque tout ce qui a été tourné avec l’Eclair était synchrone, même les manifestations. Les seuls plans sans son sont ceux que j’ai tournés avec la Beaulieu.« (»Nahezu alles, was mit der Eclair gedreht wurde, ist synchron, auch die Demonstrationen. Die einzigen Einstellungen ohne Ton sind die, die ich mit der Beaulieu gedreht habe.«)

Das Montieren einer »Musik am Drehort«352

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Schneider (1989), S. 30
– einer Musik, die direkt am Drehort aufgezeichnet wurde – auf andere Teile des Films konstituiert einen dramaturgischen Eingriff seitens des Regisseurs, d. h. die absolute Synchronität von Bild und Ton wird an diesen Stellen verlassen. Die Ästhetik des Films verschiebt sich in Richtung der inneren Realität, der inneren Realität des Regisseurs.353
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Vgl. ebda, S. 30 f. In Bezug auf Felix Kuballas Film Wer umarmt wen? konstatiert Schneider ebenfalls eine Verschiebung der Ästhetik durch die Verwendung von Musik: »In Felix Kuballas Worten (etwa beim Stichwort ›Szenenmontage‹) wird jedoch deutlich, daß ›Musik am Drehort‹ – so sehr sie der äußeren Realität angehört – in hohem Maße bereits auf eine innere Realität verweist: durch die Selektion [. . . ] von Musik und Geräuschen, sowie durch die Art des Schnitts wird bereits eine Interpretation äußerer Realität in Gang gesetzt.«
Auf meine Frage an Jean-Claude Laureux, ob dieses nicht der Beginn einer mise en scène sei, die ja von Malle so rigoros abgelehnt wird, antwortet er:

»On n’est pas enfermé dans des principes. Toutes les scènes que vous avez vues, elles ont été filmées avec du son. Certaines fois on a pu se dire que le son ne nous intéresse pas et on va prolonger la musique de la scène d’avant. Ça, c’est la liberté du cinéaste. Et même des fois, on peut tricher encore plus, on peut faire du faux synchrone, on peut avoir pris le son en direct sur cette image-là, mais on trouvait un autre qu’on arrive à caler par dessus et à faire croire qu’il est celui-là. Tout dépend de l’intention, si elle est bonne ou si elle est pernicieuse. Si Louis dit ›pas de mise en scène‹, il a tort parce qu’il y a toujours une mise en scène. Mais quand il dit ›pas de mise en scène‹, et ça on n’a jamais fait, et beaucoup de documentaristes le font, c’est de faire jouer les gens, de refaire un plan. J’ai travaillé avec Joris Ivens et j’étais très surpris parce qu’il y avait quelqu’un qui rentrait dans la pièce et puis il a coupé et il a dit: ›bon, on va recommencer, vous rerentrez.‹ Jamais Louis il ne l’aurait fait rentrer deux fois.«354

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»Man ist nicht an feste Prinzipien gebunden. Alle Szenen, die Sie gesehen haben, wurden mit Ton gefilmt. Einige Male haben wir uns gesagt, dass uns der Ton nicht interessiert und dass wir die Musik der vorherigen Szene verlängern. Das ist die Freiheit des Regisseurs. Und manchmal kann man sogar noch mehr schummeln: indem man für eine Einstellung einen Ton aufnimmt, aber einen anderen findet, den man schließlich auf die Szene legt und vorgibt, dass dieser der Originalton ist. Alles hängt von der Intention ab, ob sie gut oder schädlich ist. Wenn Louis ›keine mise en scène‹ sagt, hat er unrecht, da es immer eine mise en scène gibt. Aber wenn er dieses sagt, meint er damit etwas, das viele Dokumentarfilmer machen, er jedoch nie gemacht hat; nämlich die Leute spielen zu lassen, eine Einstellung zweimal zu drehen. Ich habe beispielsweise mit Joris Ivens gearbeitet und war sehr überrascht. Jemand kam in ein Zimmer und er machte einen Schnitt und sagte, ›Ok, Sie kommen noch einmal herein‹. Louis hätte niemals die Leute zweimal spielen lassen.« (Interview mit dem Verfasser, 4. 4. 2001)


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