Begleitelement
einsetzt. An einer Stelle fungiert sie jedoch als eigenständiges Motiv: in der Musikschule.
Malle zeigt in dieser Sequenz (0:58:30) den Sitarunterricht von Hachich (?) Khan, dem
Sohn des bekannten Sarod-Spielers Ali Akbar Khan und Neffe des Sitaristen Ravi
Shankar. Die Musik ist demnach als Desi-Samgita, als Kunstmusik zu bezeichnen.
Dennoch zeigt sich Malle an dieser Musikform nicht besonders interessiert: »J’ai
longtemps eu envie de couper cette scène. Et puis on en a gardé un peu. On avait
beaucoup plus de matériel, mais je ne trouve pas cette séquence tellement
intéressante.«376
Diese Sequenz erfüllt den Anspruch, auch die institutionell organisierte Musik zu dokumentieren, wobei Malle sich jedoch im Gesamtkontext der Filme nicht von für das westliche Ohr ›typisch‹ indischen Klängen leiten lässt, sondern eher ursprüngliche und unerwartete Musik verwendet. Somit beugt er einer klischeehaften Verwendung vor, wie aus der Cahiers-Fragestellung hervorgeht: »Dans ›Calcutta‹, la séquence de l’école de musique donne l’impression d’être là pour mémoire: il fallait montrer la musique indienne, mais vous avez voulu ne pas tomber dans le cliché, la facilité, l’exotisme d’en mettre énormement . . . «377
Ein weiterer erwähnenswerter Aspekt ist das Verhältnis Religion-Musik. In Indien ist das Ausüben und das Rezipieren von Musik sehr stark mit der Religion verknüpft:
»[...] die Maßstäbe zur Aufnahme und Deutung aller Musik werden aus dem Geist der Hindu-Religion gewonnen. Für den gläubigen Hindu ist Musik nicht schmückendes Beiwerk, sondern religiöse Notwendigkeit. [...] Die indische Musik wird als göttliche Kunst bezeichnet, denn: Die Kunst der Musik ermöglicht ihren Zuhörern, in das Innere der eigenen Natur einzudringen und die unergründlichen Tiefen ihres Mysteriums zu erschließen.«378
Dementsprechend nimmt die Musik im Teil Les Indiens et le sacré (L’Inde fantôme, Teil III) quantitativ eine wichtige Rolle ein. In diesem Teil der Serie montiert Malle im besonderen Maße Musik, die nicht direkt dem Bild entstammt. Da jene Passagen jedoch häufig mit son direct-Passagen alternieren, fällt dieses dem Filmbetrachter nicht direkt auf. Die Musik dient zweifelsohne auch in diesen Fällen wieder dazu, die persönlichen, subjektiven Eindrücke des Regisseurs zu vermitteln. So montiert er bei einem Eremiten eine Flötenmelodie (die gleiche, die er später am Schluss von Lacombe Lucien einsetzen wird), wobei die Soloflöte mit der Einsamkeit des Wandernden korrespondiert. Erneut besteht die Tonspur hier lediglich aus den Elementen Musik und Off-Kommentar, die mit den Bildern zu einer meditativen Einheit verschmelzen. Aufgrund dieser persönlichen Auswahl der Musik zu den Bildern kann nicht immer die Authentizität geprüft werden, d. h. es ist durchaus anzunehmen, dass Malle Musik montiert, die er an anderem Ort in Indien und zu anderer Zeit aufgenommen hat.
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