- 155 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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  Fazit

Die Filmklanggestaltung in Calcutta und L’Inde fantôme beruht auf dem Prinzip des cinéma direct. Malle legt höchsten Wert auf authentischen Einsatz von Musik und Geräusch, eine Ästhetik, die einerseits durch den technischen Fortschritt bestimmt ist, andererseits aber auch die Sensibilität des Regisseurs für fremde Klänge, Geräusche und Musik und seine Aversion gegen den beeinflussenden Einsatz der Tonebene manifestiert. Somit vermeidet er sowohl durch die Tongestaltung als auch durch die Montage (die eher der manchmal ziellos erscheinenden Drehweise entspricht, als eine Ordnung zu suggerieren) dramatische und künstliche Steigerungen und gibt seine subjektiv-persönlichen Eindrücke wieder. Diese bewusst eingesetzte Subjektivität legitimiert letztendlich auch die asynchrone Montage von Musik über Teilen, die dieser nicht entsprechen.

Die Reise nach Indien, die dort gemachten Erfahrungen und die Produktion der Dokumentarfilme über Indien markieren im Schaffen Malles einen wichtigen Einschnitt. In den folgenden Spielfilmen wird der Einfluss der cinéma direct-Ästhetik deutlich spürbar (vgl. Analyse zu Lacombe Lucien), und ohne L’Inde fantôme und Calcutta wären Filme wie Lacombe Lucien und Le Souffle au coeur nicht möglich gewesen. Malles neutraler Stil der Herangehensweise an (oft auch tabuisierte) Themen, der sich vor allem in einigen Filmen der 70er-Jahre niederschlägt, wird durch den wichtigen Aspekt bestimmt, dem Filmbetrachter die Freiheit zu lassen, den Film auf seine eigene Art anzuschauen, anstatt ihm mit beeinflussenden Mitteln nur eine Sichtweise zu bieten. Die Grundlage für diese Neutralität des Blickes und der Darstellung lässt sich in Malles Äußerungen zum cinéma direct finden:

»Et cette forme de cinéma colle tellement à la réalité que finalement on a envie de projeter les images telles quelles, et de laisser le spectateur se débrouiller avec! Ce qui m’intéresse personellement dans ce cinéma c’est qu’à la limite on dépasse cette notion qui est sacrosainte en France du cinéma d’auteur, en ce sens que ce n’est pas du tout la vision qu’un créateur ou qu’un ›artiste‹ vous expose, mais vraiment une expérience vécue qu’on vous livre comme ça et qui demande du spectateur une participation plus importante que pour un film normal qui lui laisse le soin de se définir lui-même par rapport à la réalité montrée dans le film, constituant en quelque sorte le point de départ d’une réflexion personnelle.«379

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Braucourt (1969), S. 30 (»Diese Art des Kinos ist derart eng mit der Realität verbunden, dass man am liebsten die Bilder, so wie sie sind, zeigen und den Zuschauer alleine damit fertig werden lassen möchte. Was mich persönlich an dieser Form des Kinos interessiert, ist, dass man im Extremfall das in Frankreich ach so hochheilige Prinzip des Autorenkinos überwindet, und zwar in dem Sinne, dass Ihnen nicht mehr ein Schöpfer oder Künstler eine Vision auferlegt, sondern Ihnen eine echte Erfahrung präsentiert wird, die man Ihnen einfach so liefert und die vom Zuschauer eine stärkere Beteiligung als bei einem normalen Film erfordert, die ihm die Möglichkeit bietet, sich selbst in Bezug auf die im Film dargestellte Realität zu definieren, was in gewissem Sinne den Anfang einer persönlichen Reflexion bedeutet.«)

Malle weicht folglich in diesem Fall bewusst vom Prinzip des cinéma d’auteur, vom Autorenkino ab, in dem ein Regisseur (=Autor) seine Persönlichkeit und seine Handschrift einbringt, und lässt dem Filmbetrachter im Gegenteil Raum für eine eigene Betrachtungsweise. Gerade die auditive Schicht des Films hat an dieser Ästhetik maßgeblichen Anteil, da eine Beeinflussung des Filmbetrachters in


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