- 160 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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(1) in der Entwicklung der technischen Möglichkeiten, (2) im Sujet und (3) im massiven Einsatz externer Musik begründet.

Zu (1): 1962 konnte sich Malle noch nicht des son synchrone bedienen, der die auditive Ebene der Indien-Dokumentationen auszeichnet, ein Aspekt, den der Regisseur bedauert: »Nous n’avons pas fait de son synchrone, seulement des sons d’ambiance, ce qui était beaucoup moins intéressant.«392

392
Ebda., S. 28
Somit klingen die Geräusche (gerade aus heutiger Sicht) sehr artifiziell. Zudem fehlt das umfassende Geräuschpanorama. Anstelle dessen kann Malle lediglich einzelne Aspekte wie Zahnkranzgeräusche, Flaschenklirren etc. akzentuieren.

(2) Die Tour de France ist in Frankreich seit Jahrzehnten eine feste Institution. Sie hat nicht die exotische Fremdheit wie eine Straße in Kalkutta oder ein Tempel in Madras. Obgleich es reizvoll wäre, einen Film über die Tour nur mit Geräuschen auszustatten, hätten diese nicht den gleichen Effekt wie in den Filmen über Indien.

(3) Im Gegensatz zu den späteren Filmen setzt Malle externe Musik ein (58 %) und verschiebt somit die Authentizität des Films in starkem Maße in Richtung ›innere Realität‹.393

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Vgl. Schneider (1989), S. 22 ff.
Delerue verwendet drei Stücke (Marsch in Take 1, ruhiges 3 /4-Stück in Take 5, Musette-Walzer in allen übrigen Takes), die keine direkte Verbindung zu den Bildvorgängen haben.

Ein Kriterium des cinéma direct erfüllt der Film jedoch: Es gibt keine mise en scène. Wie später bei den Indien-Filmen filmen Malle und seine Crew das, was ihnen wichtig erscheint, und drehen keine Szene zweimal (was freilich auch unmöglich gewesen wäre, da sich das Tourgeschehen nicht wiederholen lässt). Dennoch bestimmen die Montage und der Musikeinsatz zu einem großen Teil die Ästhetik des Films.

Wie oben analysiert gibt die Tonebene in weiten Abschnitten die subjektive Erlebnisperspektive der Fahrer wieder. Eine herausragende Rolle spielt hier die Musik, die oftmals mit der physischen und psychischen Verfassung der Athleten korrespondiert. Wenn also laut Norbert Jürgen Schneider die Musik im dokumentarischen Film – gerade als externe Quelle im Off – »in den meisten Fällen Ausdruck der ›inneren Realität‹«394

394
Ebda., S. 29
ist, so lassen sich in diesem Film die innere Realität des Regisseurs, die »Erlebnisseite«395
395
Ebda.
und »emotionale Einfärbung des Wahrgenommenen«396
396
Ebda.
mit der inneren Realität der Fahrer an vielen Stellen gleichsetzen. Malle bedient sich der Musik, um Szenen hochgradig einzufärben, was in den Anfangsszenen deutlich wird. Hinter dem scheinbar fröhlichen Gestus der Musik verbergen sich die Härte und die Gefahren des Rennens, die durch den Off-Kommentar immer wieder durchscheinen. Gleichzeitig dient die Musik der Vermittlung der Gefühle und Stimmungen der Sportler. Gerade in den Unfall- und Bergszenen erweckt er somit das Mitgefühl und -leid des Zuschauers, der den Schmerz auf den Gesichtern ablesen und die Gedanken der Fahrer zu erkennen vermag. Stärker als in anderen Werken des Regisseurs beeinflusst die Musik die Rezeption des Films und eliminiert eine gewisse Neutralität des Blickes. Dem Zuschauer wird demnach wenig Platz für eigene Reflexion gelassen.


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