- 170 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Obwohl Place de la République ein Dokumentarfilm ist, wirkt er stellenweise fiktional durch die Geschichten, die die Leute erzählen: »It was interesting, because at the beginning it was supposed to be the extreme of cinema directe and at the end, when we finished editing, it looked like a novel by Celine. It seemed to be the extreme of fiction.«430

430
Malle in Rollet (1977c), S. 61
Ästhetisch ist dieses »extreme of cinema directe« maßgeblich durch das cinéma vérité beeinflusst, da bewusst die Präsenz der Kamera die Passanten zum Sprechen bringen soll. Zudem werden Becker und Laureux mehrmals im Bild festgehalten bzw. bei der Arbeit gefilmt, d. h. die Anwesenheit des Teams wird nicht kaschiert.

In Bezug auf den Ton zeichnet sich der Film durch weitgehenden Synchronton aus; er wurde unter denselben technischen Bedingungen wie die Indien-Dokumentationen und Humain, trop humain gedreht. Der Verkehr auf der Place de la République bildet einen konstanten Geräuschhintergrund, so dass die Stimmen mitunter nur schwer zu verstehen sind. Gleichzeitig garantiert er formal den Zusammenhalt des Films. Musik erklingt nur selten, an einer Stelle erklingen Chansons aus einem Karussell in der Mitte des Platzes (1:03:40); ein Kanalarbeiter spielt auf einer Flöte (0:39:00) und ein alter Mann kratzt auf seiner Geige (0:15:25). Diese Musikbeiträge tragen zum Lokalkolorit des Platzes bei und illustrieren die verschiedenen Charaktere.

Teilweise verlässt Malle das Prinzip des Synchrontons, indem er den Kommentar einer Person auf die Tonspur montiert, die Person jedoch bei einer anderen Tätigkeit zeigt (Arbeiter in 0:43:45). Dieses Verfahren bietet dem Filmbetrachter die Möglichkeit, über die Lebensumstände und Wünsche eines Individuums zu reflektieren. Beispiel: Der Arbeiter spricht über den Wunsch, seinen Lebensabend auf der Ile d’Oléron zu verbringen; währenddessen wird er bei der Arbeit gezeigt – er hält den Verkehr beim Rangieren des Bau-LKW auf –, die kontrapunktisch zu seinen Zukunftsträumen steht, auf deren Verwirklichung er noch zwanzig Jahre warten muss. Im Falle des ebenfalls bereits zitierten alten Geigenspielers montiert Malle dessen insistierenden Kommentar, er sei 1882 geboren, noch einmal, als er die Bank verlässt und abgeht. Damit wird der Zuschauer erneut angeregt, über das Alter nachzudenken, bzw. sich zu fragen, was dieser etwas schrullige alte Herr schon erlebt haben mag.

Die Geräusche des Platzes werden mit großer Authentizität übertragen, auf Effekte verzichtet der Regisseur völlig. Somit rückt die Sprache in den Vordergrund. Die verschiedenen Akzente zeugen von der Herkunft der Menschen, deren Geschichten bilden den eigentlichen Inhalt des Films – der Ton hat somit seinen unverzichtbaren Platz; ohne ihn wäre der Film unmöglich.


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