- 175 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Schulschnitt die Tür zu Eliteuniversitäten und Stipendien öffnet. Einen längeren Abschnitt widmet Malle dem vietnamesischen Arzt, der sich im unwirtlichen Nebraska niedergelassen hat. Gerade dieses Beispiel scheint das Prinzip des melting pots zu bestätigen. Er ist mit einer Amerikanerin verheiratet und wird von allen Dorfbewohnern akzeptiert und respektiert.

Anschließend werden jedoch auch Probleme deutlich: In den Mietblocks in Houston bleiben die ethnischen Gruppen (in diesem Fall Farbige und Asiaten) streng unter sich; es wird sogar von gelegentlichen Kämpfen berichtet. Araber erzählen, dass sie pauschal für islamische Terroristen verunglimpft werden und der karibische Lyriker und Theaterautor Derek Walcott beklagt eine Vereinheitlichung der Immigranten in der amerikanischen Massenkultur. Schließlich spricht Malle auch das Problem der ausgebeuteten illegalen Arbeiter und das Schicksal der mexikanischen Flüchtlinge an, die jede Nacht versuchen, die Grenze nach Kalifornien bei San Diego zu überqueren. Tragisch wirkt der Fall des Pablo Ortega aus El Salvador, der von der Militärjunta querschnittsgelähmt geprügelt wurde, dessen Asylantrag jedoch abgelehnt wurde. In diesen Fällen zeigt sich Malle im Off-Kommentar betroffen, verlässt die sonst vorherrschende Neutralität und wünscht dem Behinderten, dass dessen Antrag doch noch anerkannt wird.440

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»Ich hoffe für Pablo, dass er doch noch politisches Asyl erhält.«
Wie eine bittere Ironie auf das Schicksal dieses Opfers wirkt das anschließende Segment, in dem der ehemalige nicaraguanische Diktator Somoza im Kreise seiner Familie in seiner Villa in Miami gezeigt wird. Dieser verlebt nun in den USA einen ruhigen bürgerlichen Lebensabend. Dennoch bildet in diesem Fall die Montage den einzigen Kommentar; weder klagt Malle den Ex-Diktator an, noch stellt er ihn bloß – der Off-Kommentar bleibt fast völlig neutral.

Malle verfährt mit der Tonspur des Films ähnlich wie bei God’s Country. Zumeist erklingen die Interviewstimmen (mit Untertiteln) und die Fragen des Regisseurs. Von Zeit zu Zeit klärt der Off-Kommentar den Filmbetrachter über die Personen auf oder liefert Hintergründe und Statistiken. Malle gestaltet ihn weniger ironisch als in God’s Country; nur vereinzelt wendet er dieses Stilmittel an.441

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So als Übergang vom Anwesen Somozas zum Nachtclub ›Odessa‹ in Brooklyn: »Vielleicht wird der Neffe des Diktators ein ganz normaler amerikanischer Spießbürger. Darauf will ich trinken!«
Dennoch bietet der Film an manchen Stellen unfreiwillig komische Einblicke in Seiten der amerikanischen Integrationsbemühungen – wenn z. B. dreißig Vietnamesen, die einen Sprachkurs besuchen, im Chor der Lehrerin antworten: »Let’s go to Wendy’s and have a hamburger.«

Die Musik, die im Film verwendet wird, ist bis auf den Abspann ausnahmslos im On verankert. Sie erklingt zu verschiedenen Gelegenheiten, so beispielsweise im Autoradio des äthiopischen Taxifahrers (0:04:52), beim kubanischen Volksfest in Miami (0:14:35), im vietnamesischen Supermarkt (0:16:15), beim Gottesdienst der Hispano-Amerikaner (0:43:16), beim laotischen Tanz (0:44:16) oder im russischen Nachtclub in Brooklyn (1:14:25). Diese mannigfaltige Mischung kennzeichnet die verschiedenen ethnischen Gruppen und bildet mit den verschiedenen Sprachlagen (s. u.) und dem teilweise charakteristischen Hintergrundsdekor in den Zimmern der Interviewten diesen die Möglichkeit der Konservierung einer eigenständigen kultu-


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