- 178 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Einzigartigkeit. Schneider bestätigt diesen Umstand der Sprache: »In Art und Weise des Sprechens äußert sich – wenn Zeit zum Reden und Zuhören gegeben wird – die Seele eines Menschen in unmittelbarer Weise. [. . . ] in seiner Klanglichkeit gibt sich der unverfälschte Mensch kund. Gesprächsfilme sind deshalb auf der sinnlichen Ebene interessant und . . . allemal decouvrierend.«444
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Ebda., S. 131
Und der Filmemacher Eberhard Fechner vergleicht Äußerungen mit Musik:

»Die Stimme, die Stimmodulation, wenn einer eine Pause macht, wenn einer sich verspricht, - das ist in meinen Filmen hör- und sichtbar. In dem Moment, wo ich hier Musik einfügen würde (wenn es nicht durch das Thema bedingt ist), würde ich meinem Konzept zuwiderhandeln ... In der Sprache ist ja schon ›Musik‹ enthalten. [... ] Es hat mich schon immer fasziniert, wenn Leute etwas zu sagen versuchen und dabei ganz unbewußt eine eigene Melodie entwickeln.«445

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Eberhard Fechner zit. n. Schneider (1989), S. 131 f.

In drei der Dokumentarfilme (Place de la République, God’s Country, . . .  And the Pursuit of Happiness), die nahezu ausschließlich aus Interviews bestehen, hat die Sprache eine wesentliche, sinngebende Funktion. Diese Filme funktionieren nicht ohne Sprache (im Gegensatz zu Humain, trop humain oder den visuell starken Indien-Filmen), weswegen sie auch teilweise nicht in eine andere Sprache synchronisiert werden können, ohne dass ein wesentlicher Faktor (die parole, vgl. oben) verloren ginge.

Zweifellos trägt natürlich auch die Musik zum Lokalkolorit eines bestimmten Ortes bei. Da sie fast immer synchron mit dem Bild vor Ort aufgenommen wurde, kennzeichnet sie diesen akustisch. So dient die Musik zur Beschreibung der Atmosphäre einer Straße Kalkuttas, der Place de la République in Paris oder eines vietnamesischen Supermarktes in Kalifornien. Insgesamt betrachtet nimmt sie quantitativ keine herausragende Rolle ein, so dass die oben erwähnte Dimension der Sprache von ebenso großer, wenn nicht sogar größerer Wichtigkeit ist. In keinem der Dokumentarfilme Malles ab 1968 wird die Musik beeinflussend eingesetzt, um die Gefühle des Filmbetrachters in eine vom Regisseur intendierte Richtung zu lenken; vielmehr bildet der diskrete Einsatz eine Einheit mit den Bildern, vor deren Hintergrund dem Zuschauer Platz für eigene Reflektionen gelassen wird.

Eine Ausnahme im Dokumentarschaffen bildet der Film Vive le tour!. Malle hätte ihn im Falle des Verfügens über die technischen Möglichkeiten gerne mit Synchronton gedreht.446

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Vgl. Comolli/Narboni/Rivette (1969), S. 28
Dieses war jedoch noch nicht möglich, so dass er einen Komponisten mit der Komposition des Soundtracks beauftragte (Georges Delerue), ein Einzelfall unter seinen Dokumentarfilmen. Die Musik wirkt in diesem Film recht veraltet und dominant, zumal sich Delerue solch tradierter Formen wie Musette-Walzern und Märschen bedient und die Geräusche häufig zu Gunsten der Musik ausgeblendet werden. Doch auch auf der Bildebene wirkt der Film nicht neutral, da er durch schnelle Schnitte und Zeitlupe die cinéma direct-Ästhetik verlässt.

Ein Merkmal, das die Dokumentarfilme ab 1968 auszeichnet, ist die Subjektivität der Darstellung, die Malle nicht kaschiert, sondern offen ausspricht. Im Falle


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