- 201 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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»Generalangriff artfremden Blutes auf die Geistes- und Seelenhaltung der gesamten weißen Rasse«,525
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Die Musik, Berlin 5. 2. 1936, zit. n.: Eichstedt, Astrid: »Wir tanzen ins Chaos. Swing als Bewegung«. In: Polster (1989a), S. 99–124, hier S. 109
Richard Strauss, seines Zeichens erster Präsident der Reichsmusikkammer (RMK), bezeichnete den Jazz als »Musik der Kannibalen«.526
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Brief vom 17. 3. 1936, zit. n.: Polster (1989b): »Es zittern die morschen Knochen. Orchestrierung der Macht«. In: Polster (1989), S. S. 9–30, hier S. 20
Dennoch erschien dieses für Goebbels kein Hindernis, »1936 voll auf internationale Unterhaltungsmusik zu setzen, um auf jeden Fall im Olympia-Jahr vor der Welt den kosmopolitischen Ton zu treffen«.527
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Eichstedt (1989), S. 109
Auch eine flächendeckende Ächtung der »Niggermusik«528
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Zitat des Gauleiters von Pommern 1938, zit. n. Polster (1989b), S. 25
war vor allem in den Anfangsjahren des Dritten Reiches eher eine Seltenheit. Viele höhere Nationalsozialisten hatten nämlich gar nichts gegen den Swing, sondern waren im Gegenteil Anhänger dieser Tanzmusik.529
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Charles Delaunay zu diesem Thema: »Es gab viele Deutsche, die den Jazz liebten. Vielleicht wußten sie, was los war, aber sie hatten vordringlichere Probleme. Wir machten Jam Sessions in unserem Keller an der rue Chaptal und ein deutscher Offizier kam oft und stieg als Pianist ein. Er kannte viele Fats Waller-Nummern. In Deutschland hätte er das nicht tun können.«, zit. n.: Zwerin (1988), S. 155
Eine zentrale Rolle in Bezug auf Jazz im besetzten Frankreichs spielte der deutsche Luftwaffen-Offizier Dr. Dietrich Schulz-Köhn. Bereits vor dem Krieg wurde er Mitglied im Jazzclub ›Hot Club de France‹, und auch während der Besatzung unterhielt er freundschaftliche Beziehungen zum Django Reinhardt-Förderer und Schallplatten-Produzenten Charles Delaunay. Er veröffentlichte geheime Newsletter, die über neue Erscheinungen, Trends und Konzerttermine informierten und in einem kleinen Kreis ausgewählter Jazzliebhaber zirkulierten – eine verbotene Aktivität, die in Deutschland vermutlich in Kürze aufgeflogen wäre. Offenbar hatte die deutsche Besatzungsmacht sogar weniger Berührungsängste mit dem Jazz als die Vertreter der Vichy-Regierung, deren Konservatismus in einem noch schärferen Gegensatz zu dieser Musik stand als die Haltung der Besatzer.530
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Ekkehard Jost schreibt dazu: »Die Deutschen und ihre Kollaborateure wollten ja erstmal den Anschein einer normal funktionierenden Gesellschaft erwecken, einer Gesellschaft, in der das Leben seinen alltäglichen Gang ging und auch der Spaß an der Freude nicht zu kurz kam. Das Nazi-System wollte sich beliebt machen bei den Franzosen, es wollte jung und dynamisch erscheinen. Der Jazz paßte da ohne weiteres hinein, zumindest solange er von Ariern gespielt wurde und keine allzu starken Assoziationen an seine afroamerikanische Vergangenheit hervorrief. Ganz anders die offiziellen Häupter der französischen Regierung des Marschall Pétain, die Generäle, Bischöfe und Moralisten der Action Française. Für sie, alte Männer insgesamt, war es kaum vorstellbar, daß junge Leute sich für eine Musik begeisterten, die außerhalb der Pfadfinderlager oder der Konservatorien gedieh. Für sie hatte Jazz vor allem etwas mit Alkohol zu tun, mit krankhafter Sexualität, Schwarzem Markt und allen möglichen anderen Abnormitäten. [. . . ] Während das von den Deutschen betriebene Radio Paris zwischen dick aufgetragenen Propagandasendungen regelmäßig die Musik französischer Jazzgruppen sendete (Michel Warlop, André Ekyan, Django Reinhardt usw.), erklangen in dem von der Vichy-Regierung kontrollierten Radio Nationale de Vichy überwiegend seichte Tanzmusik und klassische Programme.«, in: Jost (1997), S. 324

Es wurden Jazz-Schallplatten produziert, Konzerte veranstaltet, und unter den geänderten Titeln Tristesse de Saint Louis und Ambiance erklangen die bekannten Nummern St. Louis Blues und In the mood. Deutsche Soldaten, die mit der Wehrmacht neue Länder besetzten, suchten in Läden nach Schallplatten, die in ihrer Heimat nicht mehr zu bekommen waren.

Al Livrat, ein farbiger Posaunist, erzählte über das Verhältnis von Jazz-Musikern und Deutschen: »Niemand versuchte uns in ein Lager zu schicken. Ich bekam nie Rassismus zu spüren. Ich kannte niemanden, der Schwierigkeiten hatte, weil er schwarz war. An ein


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