- 200 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (199)Nächste Seite (201) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

unterschiedlichen Gruppen lassen sich sowohl einem Ort als auch einem Personenkreis zuordnen. Dient die klassische Klavierliteratur der Kennzeichnung des Hauses und des sozialen Status der jüdischen Familie Horn, so ist der Swing mit der Atmosphäre und der Belegschaft des ›Hôtel des Grottes‹ verbunden. Im Folgenden wird versucht, diese Zuordnungen anhand der verwendeten Stücke genauer zu analysieren.

Die Rolle des Swing und der Chansons

Es erklingen insgesamt sechs Stücke von Django Reinhardt und dem ›Quintette du Hot Club de France‹ (Minor Swing, Manoir de mes rêves, Nuages, Douce Ambiance, Fleur d’Ennui, Lentement, Mademoiselle), zudem von André Claveau die Schlager Ah!c’qu’on s’aimait und Mon coeur est un violon und von Irène de Trébert Mademoiselle Swing.

Bevor auf die Stücke im Einzelnen eingegangen wird, soll zunächst der Status des Jazz bzw. des Swing unter der Nazi-Okkupation in Frankreich dargestellt werden, da er offiziell im Widerspruch zur Kulturdiktatur des faschistischen Regimes stand, dennoch in den 40er-Jahren eine große Popularität erlangte, so dass der französische Jazz in der Besatzungszeit florierte wie nie zuvor.

Wie bereits im Aufsatz über den Film Le Souffle au coeur erwähnt, profitierte die französische Jazz-Szene von der Emigration amerikanischer Jazz-Größen bei Ausbruch des Krieges. In den Clubs engagierte man nun Franzosen. Zudem kam, dass sich das Leben in Paris – zumindest bis November 1942 – wieder weitgehend normalisierte. Man suchte Zerstreuung und Ablenkung: »[...] im benachbarten Frankreich bildete sich der Jazz der vierziger Jahre sehr rasch zur antideutschen Subkultur heraus. In verdunkelten Clubs spielte man für Menschen, die versuchten, ihren Lebenshunger zu stillen, mitten in einer Welt, die ihnen nun Entbehrungen und, vor allem, die ständige Angst vor morgen bescherte: Wann würde die erste Bombe auf Paris fallen?«522

522
Schmitz, Alexander/Maier, Peter: Django Reinhardt. Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten. Gauting-Buchendorf: Oreos 1985, S. 169
Die offiziellen Jazzclubs waren von der Wehrmacht besetzt, weswegen man sich zu Hause traf, um zu Schallplatten zu tanzen. Dabei erweiterte sich der traditionelle Hörerkreis des Jazz.523
523
Vgl. Zwerin, Mike: La Tristesse de Saint Louis: Swing unter den Nazis. Wien: Hannibal 1988, S. 52: »Kaum jemals hat eine Kunstform das Leben ›normaler‹ Menschen so direkt beeinflußt wie der Jazz im nazibesetzten Europa. Es war die tägliche Katharsis, eine Läuterung, ein Befreien von der Spannung.«
Da neben amerikanischer Musik auch amerikanische Filme verboten waren, bot diese Musik, die an Amerika erinnerte, ein Refugium, um aus der oktroyierten Kultur auszubrechen. Das Wort ›swing‹ wurde zur magischen Formel, die alles, was irgendwie mit Amerika in Verbindung gebracht wurde, bezeichnete. Laut Jost stand es auch für eine Lebenshaltung: »eine Art schnoddriger Optimismus, der sich – wenn auch nur oberflächlich – über die miesen Zeiten hinwegsetzte und die Bedrohlichkeit der Situation überspielte«.524
524
Jost (1997), S. 323

Erwähnenswert erscheint das Verhältnis, das manche Nationalsozialisten zum Jazz hatten. Vergleicht man die offiziellen Statements der Propaganda in Bezug auf Jazz (vor allem die Aussprüche Joseph Goebbels) mit der Realität, vor allem der in besetzten Gebieten oder an der Front, so werden große Diskrepanzen sichtbar. Goebbels sah im Swing einen


Erste Seite (i) Vorherige Seite (199)Nächste Seite (201) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 200 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?"