er
durch ein bestimmtes Motiv oder Thema beschrieben, welches immer wieder
auftaucht. Wie Freddy Buache an Take 2 feststellt, baut Malle die Erzählung
auf einer »Ästhetik der Distanzierung und einer Ästhetik der naturalistischen
Schilderung«567
»[. . . ] une mélodie du Hot Club de France avec Django Reinhardt accompagne Lucien pour
marquer l’époque: cette musique obéit au choix culturel de Malle sans être liée au personnage.
La narration est donc établie sur deux niveaux: celui d’une esthétique de la distanciation et
celui de la chronique naturaliste.« (In: Buache, Freddy: Le cinéma français des années 70.
Renens: FOMA/5 continents 1990, S. 126. Das Wort ›distanciation‹ kann im Französischen
auch für das deutsche Wort ›Verfremdung‹ im Brechtschen Sinne gebraucht werden.)
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auf, da die Musik im Gegensatz zu Luciens Hörgewohnheiten denen
Malles entspringe. Auch wenn Malle das Stück (Minor Swing) aufgrund
der beschwingten Atmosphäre ausgewählt hat, um Luciens Laune zu
charakterisieren,568
Vgl. Malles Kommentar in French (1998), S. 145
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wird im weiteren Verlauf diese Distanz beibehalten. Im Gegensatz dazu ist die
Klaviermusik France und deren gesellschaftlichem Umfeld zugeordnet und dient folglich
als sozialer Index.
Malle beschränkt sich bei der Verwendung der Musik auf zwei unterschiedliche
Klangstile, der Klaviermusik und dem Swing. Durch die Dialektik dieser beiden
Musikfelder kontrastiert er zwei verschiedene Milieus und erreicht einen gewissen
Zusammenhalt der Handlung. Zudem dient die Musik als Indikator für die Entwicklung
der Atmosphäre, was bereits ausführlich analysiert wurde. So erfüllt die Musik unter
dem Mantel des dokumentarischen Einsatzes im On durchaus weitere Funktionen, die
auch den Rezeptionsprozess beeinflussen, und ist nicht aus rein dokumentarischem Zweck
eingesetzt. Dennoch findet auf akustischer Ebene kein Gebrauch von stereotypen
Musikfloskeln statt; vielmehr benutzt Malle die Musik auf subtile Art, um Stimmungen
und Entwicklungen zu evozieren, gleichzeitig aber auch, um das Gräuel der Folterknechte
musikalisch zu kontrapunktieren und so im Rahmen einer gewissen Normalität
darzustellen, da die (akustische) Inszenierung der Schlager im Quartier der Miliz
realistischen Charakter hat und ebenso an der Tagesordnung war wie die Verhöre.
Paradoxerweise widerspricht ein Detail der ansonsten weitgehend wertungsfreien
Darstellung der Handlung. Es ist visueller Art: Für die Szenen, die Malle im Hôtel des
Grottes drehte, verwendete er eine Handkamera mit einem 18mm-Objektiv,
während die Szenen in der Wohnung Horns mit einer Standkamera und normalem
Objektiv gedreht wurden. Die Wirkung wird der unwissende Zuschauer allenfalls
unbewusst wahrnehmen; die Einstellungen im Hotel schwanken durch die Wahl der
Gerätschaften leicht und die Personen wirken durch den Weitwinkel leicht deformiert.
Jean-Claude Laureux spricht in diesem Zusammenhang vom Eindruck eines
»Aquariums«.569
»impression d’aquarium«, zit. n. Interview mit dem Verfasser, 4. 4. 2001
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Seiner Meinung nach sei der verzerrte Blick auf die Kollaborateure
ein Zeichen für die Kritik des Regisseurs, der eine distanzierte,
»anthropologische«570
»Dans la Gestapo on sent le regard du cinéaste, il y a un regard critique qui n’existe pas dans
la famille Horn, donné par cette très légère déformation et ce léger balancement tangage et
peut-être pour la précarité de cette soi-disante position dominante qu’ils avaient. Il prend
une distance pour regarder ces gens-là comme s’ils étaient dans un aquarium, c’est un peu
un anthropologue qui regarderait les gens.«, zit. n. Interview mit dem Verfasser (»In den
Szenen der Gestapo spürt man den Blick des Regisseurs, ein kritischer Blick, den man bei der
Familie Horn nicht findet. Dieser rührt von der sehr leichten Verzerrung und dem leichten
Hin- und Herschaukeln her und kennzeichnet möglicherweise die Unsicherheit der angeblich
überlegenen Position, die sie hatten. Er betrachtet sie aus einer Distanz, wirklich wie in einem
Aquarium, wie ein Anthropologe, der die Menschen betrachtet.«)
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Position einnimmt.
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