- 213 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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er durch ein bestimmtes Motiv oder Thema beschrieben, welches immer wieder auftaucht. Wie Freddy Buache an Take 2 feststellt, baut Malle die Erzählung auf einer »Ästhetik der Distanzierung und einer Ästhetik der naturalistischen Schilderung«567
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»[. . . ] une mélodie du Hot Club de France avec Django Reinhardt accompagne Lucien pour marquer l’époque: cette musique obéit au choix culturel de Malle sans être liée au personnage. La narration est donc établie sur deux niveaux: celui d’une esthétique de la distanciation et celui de la chronique naturaliste.« (In: Buache, Freddy: Le cinéma français des années 70. Renens: FOMA/5 continents 1990, S. 126. Das Wort ›distanciation‹ kann im Französischen auch für das deutsche Wort ›Verfremdung‹ im Brechtschen Sinne gebraucht werden.)
auf, da die Musik im Gegensatz zu Luciens Hörgewohnheiten denen Malles entspringe. Auch wenn Malle das Stück (Minor Swing) aufgrund der beschwingten Atmosphäre ausgewählt hat, um Luciens Laune zu charakterisieren,568
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Vgl. Malles Kommentar in French (1998), S. 145
wird im weiteren Verlauf diese Distanz beibehalten. Im Gegensatz dazu ist die Klaviermusik France und deren gesellschaftlichem Umfeld zugeordnet und dient folglich als sozialer Index.

Malle beschränkt sich bei der Verwendung der Musik auf zwei unterschiedliche Klangstile, der Klaviermusik und dem Swing. Durch die Dialektik dieser beiden Musikfelder kontrastiert er zwei verschiedene Milieus und erreicht einen gewissen Zusammenhalt der Handlung. Zudem dient die Musik als Indikator für die Entwicklung der Atmosphäre, was bereits ausführlich analysiert wurde. So erfüllt die Musik unter dem Mantel des dokumentarischen Einsatzes im On durchaus weitere Funktionen, die auch den Rezeptionsprozess beeinflussen, und ist nicht aus rein dokumentarischem Zweck eingesetzt. Dennoch findet auf akustischer Ebene kein Gebrauch von stereotypen Musikfloskeln statt; vielmehr benutzt Malle die Musik auf subtile Art, um Stimmungen und Entwicklungen zu evozieren, gleichzeitig aber auch, um das Gräuel der Folterknechte musikalisch zu kontrapunktieren und so im Rahmen einer gewissen Normalität darzustellen, da die (akustische) Inszenierung der Schlager im Quartier der Miliz realistischen Charakter hat und ebenso an der Tagesordnung war wie die Verhöre. Paradoxerweise widerspricht ein Detail der ansonsten weitgehend wertungsfreien Darstellung der Handlung. Es ist visueller Art: Für die Szenen, die Malle im Hôtel des Grottes drehte, verwendete er eine Handkamera mit einem 18mm-Objektiv, während die Szenen in der Wohnung Horns mit einer Standkamera und normalem Objektiv gedreht wurden. Die Wirkung wird der unwissende Zuschauer allenfalls unbewusst wahrnehmen; die Einstellungen im Hotel schwanken durch die Wahl der Gerätschaften leicht und die Personen wirken durch den Weitwinkel leicht deformiert. Jean-Claude Laureux spricht in diesem Zusammenhang vom Eindruck eines »Aquariums«.569

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»impression d’aquarium«, zit. n. Interview mit dem Verfasser, 4. 4. 2001
Seiner Meinung nach sei der verzerrte Blick auf die Kollaborateure ein Zeichen für die Kritik des Regisseurs, der eine distanzierte, »anthropologische«570
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»Dans la Gestapo on sent le regard du cinéaste, il y a un regard critique qui n’existe pas dans la famille Horn, donné par cette très légère déformation et ce léger balancement tangage et peut-être pour la précarité de cette soi-disante position dominante qu’ils avaient. Il prend une distance pour regarder ces gens-là comme s’ils étaient dans un aquarium, c’est un peu un anthropologue qui regarderait les gens.«, zit. n. Interview mit dem Verfasser (»In den Szenen der Gestapo spürt man den Blick des Regisseurs, ein kritischer Blick, den man bei der Familie Horn nicht findet. Dieser rührt von der sehr leichten Verzerrung und dem leichten Hin- und Herschaukeln her und kennzeichnet möglicherweise die Unsicherheit der angeblich überlegenen Position, die sie hatten. Er betrachtet sie aus einer Distanz, wirklich wie in einem Aquarium, wie ein Anthropologe, der die Menschen betrachtet.«)
Position einnimmt.


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