eine bestimmte Entscheidung trifft bzw. in eine
bestimmte Situation gerät. Die Perspektive, durch die der Zuschauer den Film
betrachtet, ist die Luciens.
René Prédal sieht in Lacombe Lucien ebenfalls eine Mischung aus Dokumentar- und
Spielfilm. Thematisch mit dem Dokumentarfilm Le chagrin et la pitié (1971, Regie: Marcel
Ophuls) verwandt, schöpfe Lacombe Lucien seine Glaubwürdigkeit weniger aus dem Dekor,
sondern vielmehr aus der Konstellation der Theater- und Laienschauspieler. Vor allem die
Laien Aurore Clément (in der Rolle der France) und Pierre Blaise (Lucien) im Kontrast
zum professionellen Schauspieler Holger Löwenadler seien ein Pendant zu den beiden
»Paten«563
Prédal (1989), S. 112 (»les deux parrainages du récit«)
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des Films: »le
documentaire et la fiction«.564
Ebda. (»der Dokumentar- und der Spielfilm«)
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In Bezug auf die Musik äußert sich die Dokumentarästhetik in dem fast
durchgängigen ›son direct‹. Bis auf zwei Takes sind alle musikalischen Beiträge im
›on‹ verankert. Die Verteilung dieser beiden Takes, die sich zu Beginn und am
Schluss befinden, korrespondiert mit dem dramaturgischen Handlungsverlauf
des Films, dessen erste Partie (S 1–15) als Prolog, die Segmente 16–90
als Hauptteil und dessen Schluss (S 91–105) als Epilog bezeichnet werden
können.565
Kurioserweise werden Prolog und Epilog jeweils durch eine Panne, die Lucien widerfährt,
vom Hauptteil abgegrenzt (Fahrradpanne S 15; Autopanne S 90).
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Somit ist dem Prolog das Stück Minor Swing zugeordnet, dem Hauptteil die dialektische
Klaviermusik/Swing-Dramaturgie und dem Epilog die als Synthese fungierende
Flötenmelodie. Gerade das Ende hebt sich durch die musikalische Untermalung deutlich
vom Rest des Films ab, da die Flötenmusik weder stilistischen noch zeitgenössischen
Bezug zur Handlung hat. Ähnlich wie schon im Film Le Souffle au coeur setzt Malle
Musik ein, die zum Zeitpunkt der Filmhandlung aktuell war. Wie bereits ausführlich
besprochen, liefert die Verwendung von Django Reinhardt, Irène de Trébert und André
Claveau ein akustisches Gemälde der Epoche, welches von hoher Authentizität geprägt
ist. Dennoch gewinnt die Musik erst im Zusammenspiel mit der Handlung, dem
Dekor und den Charakteren ihre Wirkung. Es ist die Mischung aus kleinen
Details wie die häufig präsenten Propagandasendungen im Radio, konkreten
Daten in der Geschichte (Invasion der Amerikaner), zeitgenössischen Festen
und gescheiterten Existenzen (Ex-Radprofi Aubert), die mit Musik zu einer
realistischen Darstellung verschmelzen. Die Musik bildet mit diesen Faktoren eine
unzertrennbare Einheit. Gerade im Hôtel des Grottes dient sie so der Verstärkung der
Atmosphäre.566
Vgl. Louis Malle in Mallecot (1978), S. 49: »[. . . ] et j’utilisais beaucoup les enregistrements
de Django Reinhardt faits sous l’Occupation, qui en évoquent si bien l’atmosphère lugubre,
glauque.« (»ich verwendete viele Aufnahmen, die Django Reinhardt während der Okkupation
gemacht hatte; sie strahlen eine traurige und unheimliche Atmosphäre aus.«)
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Im Gegensatz zu Le Souffle au coeur ist die Musik jedoch nicht an den Protagonisten
gebunden; weder repräsentiert sie seine musikalischen Präferenzen, noch wird
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