- 212 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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eine bestimmte Entscheidung trifft bzw. in eine bestimmte Situation gerät. Die Perspektive, durch die der Zuschauer den Film betrachtet, ist die Luciens.

René Prédal sieht in Lacombe Lucien ebenfalls eine Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm. Thematisch mit dem Dokumentarfilm Le chagrin et la pitié (1971, Regie: Marcel Ophuls) verwandt, schöpfe Lacombe Lucien seine Glaubwürdigkeit weniger aus dem Dekor, sondern vielmehr aus der Konstellation der Theater- und Laienschauspieler. Vor allem die Laien Aurore Clément (in der Rolle der France) und Pierre Blaise (Lucien) im Kontrast zum professionellen Schauspieler Holger Löwenadler seien ein Pendant zu den beiden »Paten«563

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Prédal (1989), S. 112 (»les deux parrainages du récit«)
des Films: »le documentaire et la fiction«.564
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Ebda. (»der Dokumentar- und der Spielfilm«)

In Bezug auf die Musik äußert sich die Dokumentarästhetik in dem fast durchgängigen ›son direct‹. Bis auf zwei Takes sind alle musikalischen Beiträge im ›on‹ verankert. Die Verteilung dieser beiden Takes, die sich zu Beginn und am Schluss befinden, korrespondiert mit dem dramaturgischen Handlungsverlauf des Films, dessen erste Partie (S 1–15) als Prolog, die Segmente 16–90 als Hauptteil und dessen Schluss (S 91–105) als Epilog bezeichnet werden können.565

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Kurioserweise werden Prolog und Epilog jeweils durch eine Panne, die Lucien widerfährt, vom Hauptteil abgegrenzt (Fahrradpanne S 15; Autopanne S 90).
Somit ist dem Prolog das Stück Minor Swing zugeordnet, dem Hauptteil die dialektische Klaviermusik/Swing-Dramaturgie und dem Epilog die als Synthese fungierende Flötenmelodie. Gerade das Ende hebt sich durch die musikalische Untermalung deutlich vom Rest des Films ab, da die Flötenmusik weder stilistischen noch zeitgenössischen Bezug zur Handlung hat. Ähnlich wie schon im Film Le Souffle au coeur setzt Malle Musik ein, die zum Zeitpunkt der Filmhandlung aktuell war. Wie bereits ausführlich besprochen, liefert die Verwendung von Django Reinhardt, Irène de Trébert und André Claveau ein akustisches Gemälde der Epoche, welches von hoher Authentizität geprägt ist. Dennoch gewinnt die Musik erst im Zusammenspiel mit der Handlung, dem Dekor und den Charakteren ihre Wirkung. Es ist die Mischung aus kleinen Details wie die häufig präsenten Propagandasendungen im Radio, konkreten Daten in der Geschichte (Invasion der Amerikaner), zeitgenössischen Festen und gescheiterten Existenzen (Ex-Radprofi Aubert), die mit Musik zu einer realistischen Darstellung verschmelzen. Die Musik bildet mit diesen Faktoren eine unzertrennbare Einheit. Gerade im Hôtel des Grottes dient sie so der Verstärkung der Atmosphäre.566
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Vgl. Louis Malle in Mallecot (1978), S. 49: »[. . . ] et j’utilisais beaucoup les enregistrements de Django Reinhardt faits sous l’Occupation, qui en évoquent si bien l’atmosphère lugubre, glauque.« (»ich verwendete viele Aufnahmen, die Django Reinhardt während der Okkupation gemacht hatte; sie strahlen eine traurige und unheimliche Atmosphäre aus.«)

Im Gegensatz zu Le Souffle au coeur ist die Musik jedoch nicht an den Protagonisten gebunden; weder repräsentiert sie seine musikalischen Präferenzen, noch wird


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