- 226 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Im Gegensatz dazu drückt die Atmosphäre von Take 43 (After the Ball) reine Freude aus; sie begleitet die ausgelassen-alberne Hochzeitsgesellschaft während des Hochzeitspicknicks am Ufer des Flusses. Die Musik wirkt gerade in dieser Szene derart authentisch, dass es den Anschein hat, als ob sie direkt von einer Band im Bild gespielt würde.

In der letzten Szene des Films ertönt der Mamie’s Blues, wobei parallel zum Zoom auf Violet die Nebengeräusche ausgeblendet werden, bis nur noch die Musik zu hören ist. Die sehr ruhige Musik steht im Kontrast zu den übrigen Ragtimes des Soundtracks und wirkt wie eine Erinnerung an vergangene Bordellnächte. Sie deutet auf ein offenes Ende hin, da Violet, die nun in einem bürgerlichen Haus erzogen werden wird, der Wechsel in ihre neue ›gesittete‹ Umgebung sicherlich nicht einfach fallen wird.606

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Vgl. Gow, Gordon: »Pretty Baby«. In: Films & Filming 9/79, S. 29–30, hier S. 30: »At this point, Malle freezes the frame [. . . ] Violet faces a future that poses a daunting question mark.«

Während in den obigen Takes durch die Musik zum größten Teil die Atmosphäre in den einzelnen Szenen unterstützt wurde bzw. die Musik als ablenkende Gegenwelt zur eigentlichen Realität fungierte, wirft das viermalige Erklingen des Stücks Heliotrope Bouquet die Frage auf, inwieweit Malle hiermit ein dramaturgisches Konzept verfolgt.

Es lässt sich jedoch kein plausibler Zusammenhang zwischen den Szenen herstellen, in denen das Stück ertönt; während Take 21 am Ende der Versteigerung erklingt, scheint die Solovioline in Take 32 die Liebe Violets für Bellocq darzustellen. Gegen Ende des Films überwiegen die atmosphärischen Qualitäten des Stücks, handelt es sich doch im Gegensatz zu den übrigen Ragtimes im Film um ein ausgesprochen lyrisches, melancholisches Werk, welches besonders gut zu der Endzeitstimmung bei Auflösung des Bordells passt. Als eigentlicher Gewinner stellt sich hier der ›Professor‹ Claude heraus, den es im Gegensatz zur vollkommen demoralisierten Mme Nell tatendurstig nach Chicago zieht (»Chicago is the money town!«) und der in seinen besten Kleidern das Stück Heliotrope Bouquet noch einmal vor dem Spiegel pfeift, nachdem das Klavier verpfändet wurde (Take 41). Indem er die Musik von Farbigen pfeift (der Komponist Scott Joplin war Schwarzer und Co-Autor Louis Chauvin Kreole), die er jahrelang zu Diensten der Weißen gespielt hat, macht er sich indirekt über die verzweifelte Lage der weißen Mme Nell lustig, die am Ende nach jahrelanger Ausbeutung der Belegschaft aber auch der Musiker psychisch zerstört ist.

  Fazit

Pretty Baby ist ein weiterer Film im Schaffen von Louis Malle, der die sehr präzise Schilderung eines Milieus und einer bestimmten Zeit darstellt. War die Musik in Lacombe Lucien bereits in die Filmhandlung integriert, so wird dieses Prinzip in Pretty Baby beibehalten und sogar noch gesteigert: Musik wird zum integralen Bestandteil des Filmes. Sie ist aufgrund der Handlungsorte Bordell und New Orleans allgegenwärtig. Auch wenn nicht alle Takes direkt durch die Filmhandlung


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