- 230 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Atlantic City erlebte eine wechselvolle Geschichte. Ursprünglich als nahgelegenes Erholungsziel für die umliegenden Großstädte angelegt, welches die Werbeslogans ›Loungs of Philadelphia‹ und ›America’s First Resort‹ trug, stieg die Stadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schnell zu einem mondänen Luftkurort auf. 1890 erbaute man auf dem Howard’s Pier das erste Karussell Amerikas, womit man den amusement pier erfand – der Anfang dessen, was sich in den darauffolgenden Jahren noch an Vergnügungseinrichtungen ansiedeln sollte. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts festigte sich Atlantic Citys Ruf als glitzernde Metropole der Erholung und des Glamours. Sowohl die Schönheitswettbewerbe der ›Miss America‹ als auch die rolling chairs, ursprünglich Rollstühle für Gäste, die sich an der Seeluft gesunden wollten, und der Boardwalk, die hölzerne Strandpromenade, prägten das Bild der Stadt. »Es muß wohl schon damals etwas sehr Amerikanisches im Vergnügungsrummel dieses glittering getaway gesteckt haben, denn was vor Ort gefiel, verursachte in Europa zumindest zwiespältige Gefühle. Karl Baedeker erhob 1909 Atlantic City zwar zum achten Weltwunder, sah in ihm aber auch einen Ort, der durch seine Grobheit überwältigte, dessen ›Vulgarität‹ etwas ›Kolossales‹ habe, der hassenswert und großartig zugleich wirke.«616

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Schmidt-Brünner, Horst: Ostküste USA. Capital Region. Köln: Vista Point 2000, S. 208 f.

Während die Stadt in den 20er und 30er-Jahren weiterhin florierte, setzte der Verfall nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Die Entwicklung des Flugverkehrs und veränderte Reisegewohnheiten ließen in ferneren Zielen eine ernsthafte Konkurrenz für Atlantic City heranwachsen, so dass der Ort in den 50er und 60er-Jahren zu einer Geisterstadt mit vornehmlich von Schwarzen bewohnten Ghettos wurde. In den 70er-Jahren wurde das Glücksspiel legalisiert, so dass ab 1978 der Bauboom der Casinos und Hotels begann. Bis heute hat sich an dem Widerspruch zwischen glänzender Fassade und dahinterliegenden Slums nicht viel geändert – diese andere Seite der Stadt sorgt für viele Kontroversen zwischen der Stadtverwaltung und den Kasinobetreibern.

Die Atmosphäre der inszenierten Goldgräber- und Aufbruchsstimmung Ende der 70er-Jahre ist im Film ständig präsent. Bezeichnend ist dabei, dass alte Bausubstanz rigoros niedergerissen wird, um Platz für die neuen glitzernden Kasino- und Hotelbauten zu schaffen; ein Aspekt, der auf den Europäer Malle eine große Faszination ausübte. Nahezu während des gesamten Films werden Bagger und Bulldozer gezeigt bzw. sind akustisch präsent, Hotels werden gesprengt oder mit der Abrissbirne dem Erdboden gleichgemacht. Diese Aufnahmen sind keinesfalls gestellt gewesen, sondern spiegeln die reale Atmosphäre der Stadt zum Drehzeitpunkt wider. Malle selbst bezeichnet den Film denn auch als »Dokumentarfilm über Amerika«.617

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French (1998), S. 174

Ein Prinzip des Films ist, dass sich die Widersprüchlichkeit der Außenwelt der Stadt, so beispielsweise der Kontrast zwischen Glamour und Armut, auch in der Handlung und im Verhalten der Personen niederschlägt. Trotz der kleinen Erfolgserlebnisse, die die Protagonisten erleben, und trotz der ironisch-komödiantischen Inszenierung bleibt an allen Stellen des Films das Gefühl der Sehnsucht und des Scheiterns präsent. Wenn Lou und Sally im Motel einchecken, wird später auf dem


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