- 243 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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talistischen amerikanischen Gesellschaft darstellt. Demnach ist Sallys Hören der Bellini-Oper keinesfalls Ausdruck für ein höheres Kunstverständnis, sondern lediglich ein Versuch, sich europäische Kultur anzueignen, eine Voraussetzung, um die Croupier-Karriere in Monte Carlo verwirklichen zu können.

Obwohl der Film ein relativ offenes Ende hat – es bleibt ungewiss, ob sich Sally bis nach Monte Carlo durcharbeiten wird und ob Lou früher oder später nicht doch von der Polizei gestellt wird – enthält gerade die letzte Einstellung ein ironisch-pessimistisches Fazit des Films (und auch einen Ausblick), vor allem, wenn man sie mit der Anfangseinstellung in Segment 1 vergleicht. Vogt nennt diese erste Einstellung, das Zerkleinern der Zitrone als Vorbereitung für die Waschprozedur eine »Augenblicks-Utopie«.644

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Vogt (1990), S. 245
Von dieser Utopie bzw. von den Utopien der Charaktere, die im Laufe des Films geschildert werden, sind am Ende nur noch Bruchstücke übrig. Jegliche Romantik und Harmonie, die der ersten Szene innewohnten, sind nun verschwunden; stattdessen sieht man eine Abrissbirne, die systematisch ein Haus zerstört. Bei nahezu jedem neuen Aufprall wechselt die Musik, so dass fast alle verschiedenen Stile noch einmal für wenige Sekunden zitiert werden. Diese letzte Szene lässt sich somit als Zerstörung der Wünsche und Illusionen deuten, die die verschiedenen Personen im Film hegen.

Wie so häufig in Malles Filmen müssen die einzelnen Musikstile des Films erkannt und muss ihre Bedeutung abgerufen werden, sonst wirkt nur der oberflächliche atmophärische Duktus der Musik. Wenn Andrew Sarris beispielsweise schreibt: »With the help of Michel Legrand’s music, the film eventually dances its way across the Boardwalk of Atlantic City through the interlocking destinies of characters caught in the spell of the Monopoly money fluttering in and out of their lives«,645

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Sarris, Andrew: »Wit and Charm on the Boardwalk«. In: Village Voice 1.-7. 4. 1981
so wird in erster Linie eine atmosphärische bzw. motorische Wirkung der Filmmusik hervorgehoben (»the film dances . . . «), nicht jedoch die einzelnen subtilen Möglichkeiten, die die Musik zur Kommentierung bietet. Die Musik konstituiert im Film Atlantic City, U.S.A. folglich eine eigenständige Informations- und Erzählschicht, deren Gehalt dekodiert werden muss, um die Charaktere, ihre Motivationen und auch die Zusammenhänge zwischen den Handlungssträngen vollständig verstehen zu können.

  My Dinner With André / Vanya On 42nd Street – Malle und das Theater

Zwei amerikanische Filme Louis Malles lassen sich in einem Kapitel zusammenfassen: My Dinner With André (1981) und Vanya on 42nd Street (1994). In ihnen tritt die Faszination des Regisseurs für die New Yorker Theaterwelt zutage, in die er aufgrund der Kontakte zu den Regisseuren und Schauspielern André Gregory und Wallace Shawn Einblick erhielt. Zudem spielen in beiden Filmen letztere teils die Hauptrollen (My Dinner With André), teils sich selbst (Gregory als Theaterregisseur in Vanya on 42nd Street). Überdies hat die Musik in beiden Produktionen


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