Abspann. Malle verwendet
die I. Gymnopédie des Komponisten, ein Werk, das er bereits im Film Le Feu follet
einsetzte. Es stellt sich somit die Frage, ob das Stück ähnliche Funktionen wie im älteren
Film innehat bzw. ob sich inhaltliche Bezüge zwischen den Filmen aufzeigen
lassen.
Die Musik setzt ein, während die beiden Gesprächspartner noch am Tisch sitzen. Ihre
Konversation dreht sich um die Problematik der Beziehungen von Menschen
zueinander. Gregory ist paradoxerweise der Ansicht, dass Affären den Menschen Halt
geben, während langjährige Beziehungen etwas Geheimnisvolles, Ungewisses
mit sich tragen. Anschließend stellt er die Begriffe Ehefrau, Ehemann, Sohn
etc. in Frage, da sie seiner Meinung nach nicht der Entwicklung des Menschen
entsprechen.652
Auszug aus der deutschen Synchronfassung: »Was bedeutet eine Ehefrau, ein Ehemann, ein
Sohn? Ein Baby hält deine Hand. Und dann plötzlich ist da dieser riesige Mann, der hebt
dich vom Boden hoch, und dann ist er auch weg. Wo ist dieser Sohn?«
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Die Veränderung, das Wachstum und die Vergänglichkeit des Menschen widersprechen
den vom Menschen geschaffenen Rollenbildern. Nach einer Einstellung, die den erstaunt
nachdenklichen Wally zeigt, ertönt leise das Satie-Stück. Anschließend erscheint der
Kellner um zu kassieren. In diesem Moment wird die fiktive Erlebniswelt der Erzählung
verlassen, und die Realität erhält wieder Einzug. Dennoch wirken die letzten
geheimnisvollen und ergreifenden Worte Gregorys sowohl im Filmbetrachter als auch in
Shawn fort.
Die Fortsetzung dieser Gefühlslage wird durch die Musik garantiert. Diese hat eine
komplexe Funktion: Sie thematisiert das zentrale Motiv und Thema des Films, welches
an mehreren Stellen hervortritt, am Ende (gerade von Gregory) jedoch eine ungeahnte
Intensität und Konzentration, fernab von den intellektuellen Abenteuerreisen und
Aufgeblasenheiten des Beginns, erfährt. Hier tritt zutage, dass Gregory die Fähigkeit des
Menschen, in seiner Kunst zu leben und Beziehungen zu seiner Kunst zu führen,
propagiert, diese Fähigkeit für das reale Leben jedoch anzweifelt, wenn nicht sogar
negiert.653
»Da wurde mir bewusst, dass ich 18 Jahre gelebt hatte, ohne etwas zu fühlen, außer in
extremen Situationen. [. . . ] In meinem realen Leben war ich tot.«
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Diese Thematik wird bereits in der Einleitung im Off-Kommentar Shawns
angerissen.654
Vgl. Off-Kommentar Shawns: »Der eigentliche Grund meines Treffens mit André war ein
Anruf von George Grassfield, eines alten Bekannten von mir. Der hatte gestern Abend, als er
in einer etwas merkwürdigen Gegend seinen Hund ausführte, André getroffen, der, bitterlich
weinend, an einem alten Gebäude lehnte. André erzählte George, dass er gerade den Ingmar
Bergman-Film ›Herbstsonate‹ in einem 25 Straßen weiter entfernten Kino gesehen hätte und
bei dem Satz von Ingrid Bergman »Ich konnte immer in meiner Kunst leben, aber niemals
in meinem Leben« von einem nicht zu bezwingendem Weinkrampf befallen worden sei.« Was
an dieser Stelle ironisch-persiflierend ausgedrückt wird, entwickelt sich zum Hauptthema des
Films.
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Aus dieser pessimistischen Sicht der menschlichen Beziehungsfähigkeit
resultiert eine Einsamkeit (»Du musst dich damit abfinden, zu akzeptieren,
dass du vollkommen allein bist. Und das bedeutet, du akzeptierst den
Tod!«),655
die auch auf der unlösbaren Frage, ›wer wir sind‹ basiert.
Die Ambivalenz der Stellung des Künstlers, der sich einerseits durch sein Werk
verständigen will und in seiner Kunst lebt, andererseits auch das reale Leben meistern
muss, spiegelt sich auch im Leben Erik Saties wider, dessen Werk, von dem er zeit seines
Lebens überzeugt war, eine Bandbreite von Verehrung bis hin zu Spott
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