- 247 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (246)Nächste Seite (248) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Abspann. Malle verwendet die I. Gymnopédie des Komponisten, ein Werk, das er bereits im Film Le Feu follet einsetzte. Es stellt sich somit die Frage, ob das Stück ähnliche Funktionen wie im älteren Film innehat bzw. ob sich inhaltliche Bezüge zwischen den Filmen aufzeigen lassen.

Die Musik setzt ein, während die beiden Gesprächspartner noch am Tisch sitzen. Ihre Konversation dreht sich um die Problematik der Beziehungen von Menschen zueinander. Gregory ist paradoxerweise der Ansicht, dass Affären den Menschen Halt geben, während langjährige Beziehungen etwas Geheimnisvolles, Ungewisses mit sich tragen. Anschließend stellt er die Begriffe Ehefrau, Ehemann, Sohn etc. in Frage, da sie seiner Meinung nach nicht der Entwicklung des Menschen entsprechen.652

652
Auszug aus der deutschen Synchronfassung: »Was bedeutet eine Ehefrau, ein Ehemann, ein Sohn? Ein Baby hält deine Hand. Und dann plötzlich ist da dieser riesige Mann, der hebt dich vom Boden hoch, und dann ist er auch weg. Wo ist dieser Sohn?«
Die Veränderung, das Wachstum und die Vergänglichkeit des Menschen widersprechen den vom Menschen geschaffenen Rollenbildern. Nach einer Einstellung, die den erstaunt nachdenklichen Wally zeigt, ertönt leise das Satie-Stück. Anschließend erscheint der Kellner um zu kassieren. In diesem Moment wird die fiktive Erlebniswelt der Erzählung verlassen, und die Realität erhält wieder Einzug. Dennoch wirken die letzten geheimnisvollen und ergreifenden Worte Gregorys sowohl im Filmbetrachter als auch in Shawn fort.

Die Fortsetzung dieser Gefühlslage wird durch die Musik garantiert. Diese hat eine komplexe Funktion: Sie thematisiert das zentrale Motiv und Thema des Films, welches an mehreren Stellen hervortritt, am Ende (gerade von Gregory) jedoch eine ungeahnte Intensität und Konzentration, fernab von den intellektuellen Abenteuerreisen und Aufgeblasenheiten des Beginns, erfährt. Hier tritt zutage, dass Gregory die Fähigkeit des Menschen, in seiner Kunst zu leben und Beziehungen zu seiner Kunst zu führen, propagiert, diese Fähigkeit für das reale Leben jedoch anzweifelt, wenn nicht sogar negiert.653

653
»Da wurde mir bewusst, dass ich 18 Jahre gelebt hatte, ohne etwas zu fühlen, außer in extremen Situationen. [. . . ] In meinem realen Leben war ich tot.«
Diese Thematik wird bereits in der Einleitung im Off-Kommentar Shawns angerissen.654
654
Vgl. Off-Kommentar Shawns: »Der eigentliche Grund meines Treffens mit André war ein Anruf von George Grassfield, eines alten Bekannten von mir. Der hatte gestern Abend, als er in einer etwas merkwürdigen Gegend seinen Hund ausführte, André getroffen, der, bitterlich weinend, an einem alten Gebäude lehnte. André erzählte George, dass er gerade den Ingmar Bergman-Film ›Herbstsonate‹ in einem 25 Straßen weiter entfernten Kino gesehen hätte und bei dem Satz von Ingrid Bergman »Ich konnte immer in meiner Kunst leben, aber niemals in meinem Leben« von einem nicht zu bezwingendem Weinkrampf befallen worden sei.« Was an dieser Stelle ironisch-persiflierend ausgedrückt wird, entwickelt sich zum Hauptthema des Films.
Aus dieser pessimistischen Sicht der menschlichen Beziehungsfähigkeit resultiert eine Einsamkeit (»Du musst dich damit abfinden, zu akzeptieren, dass du vollkommen allein bist. Und das bedeutet, du akzeptierst den Tod!«),655
655
Ausspruch Gregorys
die auch auf der unlösbaren Frage, ›wer wir sind‹ basiert.

Die Ambivalenz der Stellung des Künstlers, der sich einerseits durch sein Werk verständigen will und in seiner Kunst lebt, andererseits auch das reale Leben meistern muss, spiegelt sich auch im Leben Erik Saties wider, dessen Werk, von dem er zeit seines Lebens überzeugt war, eine Bandbreite von Verehrung bis hin zu Spott


Erste Seite (i) Vorherige Seite (246)Nächste Seite (248) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 247 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?"