- 248 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (247)Nächste Seite (249) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

erfuhr, und der im realen Leben von latenter Geldnot und Beziehungsproblemen gezeichnet war. Satie galt als sonderbarer Außenseiter, von der Gesellschaft belächelt, seine Kunst nur von wenigen verstanden. Gleichzeitig wirkt die Anspielung auf den Problemkreis des Akzeptierens der realen Welt und des Unterwerfens unter gewisse Normen und Werte (so beispielsweise die oben aufgeführten Rollenbilder des Zusammenlebens) wie eine Reminiszenz an die Person des Alain Leroy, des Protagonisten aus dem Film Le Feu follet, der ebenfalls das angepasste Leben in der Gesellschaft verweigert und in letzter Konsequenz den Suizid begeht.

Malle verbindet so (zunächst einmal rein inhaltlich-musikalisch) die Person Satie als Beispiel für einen marginalen Künstler656

656
Vgl. Gespräch von Jean-Claude Laureux mit dem Verfasser (4. 4. 2001) über die Rolle der Musik Saties für Malle: »Je crois que Satie est encore une musique un peu à part, un peu marginale dans la musique classique, un peu dérangeante à l’époque. Quand il [L. Malle] s’en servait, c’était une musique qui n’était pas très acceptée, qui, à la limite, avait quelque chose avec le jazz. Cette notion-là est perdue maintenant parce que effectivement, ça a beaucoup servi, on s’est aperçu que c’était séduisant, alors qu’à l’époque je ne trouve pas. La marge, tout ce qui est un peu à côté, c’est quelque chose qui l’a [L. Malle] passionné.« (»Ich glaube, dass die Musik Saties immer noch einen Außenseiterplatz innerhalb der Klassik innehat und seinerzeit auf jeden Fall als etwas Störendes empfunden wurde. Als er [L. Malle] sich ihrer bediente, traf diese Musik nicht auf sehr breite Akzeptanz und tendierte eher in Richtung Jazz. Dieser Aspekt ist heute verloren, denn die Stücke haben oftmals als Begleitung gedient, da man merkte, dass sie gut passen. Ich denke jedoch, dass damals die Rezeption noch anders war. Alles, was eine Außenseiterstellung hat, was nicht angepasst ist, hat ihn [L. Malle] schon immer fasziniert.«)
mit Alain Leroy als Person des früheren Films, der die gleiche Musik enthält, und der Gefühlswelt und dem Pessimismus des André Gregory aus My Dinner With André. Doch Malle geht noch darüber hinaus: Indem er Gregory im Film zunächst leise-nachsichtig ironisiert, ihn jedoch nicht anklagt, weitet er das Problemfeld ›Künstler – reales Leben – Leben in der Kunst‹ zu einem universellen, alle Künste betreffenden Aspekt aus, der auch seine eigene, die kinematografische, nicht ausspart:

»Verkörpert er [André Gregory] nicht ein wenig das schlechte Gewissen des Ästheten und Intellektuellen, der scharfsinnig über das Leben zu reden aber es nicht zu ›leben‹ weiß, der philosophiert anstatt zu handeln? Aber Malle verurteilt nicht; eher ist das schon so eine Art gebrochen selbstironische Reflexion des Künstlers über sich selbst und seine gesellschaftliche Rolle.«657

657
Haslberger (1982), S. 17

Die Musik von Satie verkörpert somit musikalisch eine Reflektionsanregung für den Filmbetrachter, um diesen zu einer Kontemplation über den Sinn von Kunst und die schizophrene Lage des Künstlers, in der Kunst und im realen Leben zu leben, zu bewegen.

Darüber hinaus entspricht der melancholisch-ruhige Gestus der Musik der geistigen Haltung Shawns, der nach dem Abendessen mit seinem Freund über die angesprochenen Themen und Probleme sinniert. Vor allem der letzte angesprochene Punkt der Konversation (die Entwicklung des Menschen und der Weg vom Kind zum Manne) scheint in ihm nachzuwirken, da er sich bei der nächtlichen Fahrt durch die Straßen New Yorks in seine Kindheit zurückversetzt fühlt und ihn jedes Gebäude an seine Vergangenheit erinnert. An dieser Stelle wirkt die Musik wie eine innere Stimme Shawns, wobei Malle sich selbst zitiert: Die Fahrt durch das


Erste Seite (i) Vorherige Seite (247)Nächste Seite (249) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 248 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?"