Harmonisch weniger komplex als bei Wagner handelt es sich um einen f-moll Akkord mit großer Sexte (as-c-d-f) und einem DV (b-des-e-g) mit Vorhalt as-g. Dieses Motiv kehrt in Segment 29 wieder, bevor sich Malle anschließend selbst zitiert: Es erklingt der Beginn des zweiten Satzes aus dem Streichsextett B-dur op. 18 von Johannes Brahms, das bereits in Les Amants seinen Einsatz fand. Im Folgenden spricht Pedro den Satz aus, der im früheren Film aus dem Off kam: »L’amour peut naître d’un regard«, hier jedoch durch einen starken italienischen Akzent ironisiert. In diesen Beispielen wird klar, dass in der dargestellten Welt der Erwachsenen eine Liebe im Wagnerischen Sinne, bzw. eine Liebe auf den ersten Blick (siehe Les Amants) nicht mehr möglich ist. Sowohl die Liebes-Ehre-Tod-Thematik des Musikdramas als auch die erfüllende, leidenschaftliche Liebe des Spielfilms werden karikiert: die Liebe ist zumindest für die zwei Paarkonstellationen des Films (die homoerotischen Albertine und Gabriel und die Nymphomanin Mme Mouaque und Pedro/Trouscaillon) unmöglich, vielmehr wird sie auf eine Zweckgemeinschaft (Albertine und Gabriel) bzw. reine Triebbefriedigung herabgesetzt (s. Trouscaillon und Mme Mouaque): »[. . . ] there exists no ›normal‹ expression of love, of sex, of tenderness. All is show, distortion, obsession, repression.«95
Das zweite Beispiel ist der oben bereits erwähnte Auftitt Marilyn Monroes und das Gitarrenspiel von Sacha Distel. Im Film finden sich einige Anzeichen für eine zunehmende Amerikanisierung:96
Turandot versucht offensichtlich durch die Modernisierung seines Bistros nach amerikanischem Vorbild die Vergangenheit hinter sich zu lassen und sich dem neuesten Trend anzupassen. Dass dabei ein Porträt des Maréchal Pétain hinter der neuen Wanddekoration verschwindet, gibt der Situation noch eine zusätzliche, politische Note. Es ist folglich nicht bloß groteske Komik, wenn in Segment 44 Marilyn Monroe auftaucht und von einem französischen Jazzgitarristen mit dem Spiritual Oh When The Saints Go Marchin’ In begleitet wird. Vielmehr versetzt die Musikdramaturgie der nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Frankreich herrschenden Begeisterung und Faszination für die USA einen ironischen Seitenhieb. Marilyn Monroe steht hier als ›Heilige‹ – die nach Paris einmarschiert – für die zunehmende Amerikanisierung. Fast schon nostalgisch mutet es da an, dass Mado nach ihrem Charles schmachtend auf der Treppe des Restaurants zu einem Musette-Walzer trällert oder wenn |