- 41 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Einen ähnlichen Weg wählt Carpi. So benutzt er genretypische Musikstile, um sie ironisch zu verfremden. Die aus dem Stummfilm stammende Slapstick-Musik wird absichtlich zu schnell gespielt, Klänge zu Liebesszenen werden durch den stereotypen Einsatz von Streichern persifliert, wobei Wagner und Brahms zitiert werden und die ›Jagdmusik‹ (Take 30ff.), die im charakteristischen Triumphgestus gehalten ist, evoziert eine spanische Stierkampfarena, während der dichte Verkehr um die Place de la Concorde gezeigt wird.

Dennoch vermag die Musikdramaturgie – so ironisch sie auch gemeint sein soll – nicht eine wirksame Kritik an der auditiven Ebene des Films hervorzurufen. Dieses liegt im Wesentlichen an zwei Gründen. Zum einen verharrt Carpi in der konventionellen Filmmusiksprache:101

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vgl. hierzu Eisler/Adornos Kapitel ›Vorurteile und schlechte Gewohnheiten‹ in Adorno/Eisler (1996), S. 19–37. Kritik an der klassischen Filmmusikdramaturgie basieren sie auf dem von ihnen propagierten Einsatz Neuer Musik im Film. Dieser Ansatz fehlt in Carpis Soundtrack völlig.
Weitgehend auf Jazz basierend, überrascht die eingängige Musik den Filmbetrachter keineswegs. Zazies Hauptthema (t 3) wird in altbewährter Weise motivisch verarbeitet (t 11, 17), und wenn die Musik auch inhaltliche Themen des Films kommentiert (Liebe, Modernisierungsaspekt), so ironisiert sie sich selber nur an wenigen Stellen (s. o.). Des Weiteren verpasst der Film die Gelegenheit, Kritik an der Musik auf anderem Wege als durch Musik auszudrücken. Musik unterliegt nämlich nicht dem Dilemma, dass sie, um Kritik an sich selbst zu üben, sich ihrer eigenen Sprache (also der Töne) bedienen muss. Horton erklärt dieses auf literarischer Ebene am Beispiel der Sprache Gabriels: »Language cannot be formally or completely critiqued because one must use language to express that critique.«102
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Horton (1981), S. 66
Die Musik könnte dagegen auch, gerade wenn sie durch das Bild motiviert ist, durch verbale Äußerungen der handelnden Personen kommentiert und ironisiert werden, was jedoch nicht geschieht.

Die dennoch zeitweise auftauchende Ironie wird dadurch abgeschwächt, dass das Bild dem Filmbetrachter zuviel Aufmerksamkeit abfordert, als dass die Musik bewusst und distanziert wahrgenommen werden könnte (vgl. Take 17). Während laut Horton das Auseinanderklaffen von Stoff (Zazie im Paris der 60er-Jahre) und Form der Darstellung bzw. Genre des Films (Amerikanische Slapstick-Komödie à la Marx Brothers) eine Distanzierung des Zuschauers vom Geschehen bewirke,103

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»His subject matter is Zazie and her contemporary Paris environment, but his expression is through the ›language‹ of American film comedy. The resulting clash between subject and expression works as a critique by distancing us far enough from the character and ›story‹ so that we are conscious of the illusionary nature of both. Like Queneau’s novel, the film is enjoyable for ist childlike delight in playing with conventions, forms, and ›grammar‹. But such playful manipulation forces us to go beyond mere pleasure and consider the nature of film as a medium of communication and a means of conveying what Gabriel sees as a dreamlike reality.«, zit. n. Horton (1981), S. 68
erscheint dieser Aspekt in Bezug auf die Musik nur in Ansätzen zu funktionieren, da sie beispielsweise durch ihren Rhythmus den Zuschauer mitzureißen droht. In diesem Fall wird der Rezipient also möglicherweise mit den physischen Auswirkungen der Musik konfrontiert. Zwar macht sich an einigen Stellen der Einsatz von verfremdeter Musik deutlich bemerkbar (vgl. Take 17); dennoch bleibt fraglich, ob der Zuschauer in dieser Verwendung eine Kritik zu erkennen vermag. So wirkt die Mu-

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