- 10 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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des Werkes selbst liege. Er wendet sich damit gegen musikfremde Instanzen zur Erklärung dieses Phänomens, heißen sie nun Biographie oder »philosophisch unterbaute Welt tönender Leitgedanken« (nach Redlich) oder auch das »ausgelaugte Pathos der Schicksalssymbolik«. Obwohl er mehrfach die Arbeiten von Ratz, Redlich und Adorno heranzieht, nennt er das Motiv der Vorahnung von Katastrophen hier explizit nicht.35
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Bernd Sponheuer, Logik des Zerfalls, Tutzing 1978, S. 352.
Mit den Ergebnissen von Sponheuer setzte sich zwanzig Jahre später Siegfried Oechsle auseinander.36
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Siegfried Oechsle, Strukturen der Katastrophe. Das Finale der VI. Symphonie Mahlers und die Endzeit der Gattung, in: Mf 50 (1997), S. 162–182.
Er ermittelte zwei Schlüsse des Finalsatzes: »einen des thematischen Vermittlungs- und Arbeitsprozesses und dann noch eine letzte Wende, markiert durch eine konsequent nichtthematische musikalische Substanz«, das Motto. »Gelingen und Scheitern bleiben in letzter Instanz doch eben getrennte Ereignisse«. Dieser finale Widerspruch lege zwar den Vorwurf des Inszenierten nahe, vielmehr sei darin aber die historische Position des Werkes am Ende der Gattungsgeschichte zu sehen. »Ihre historische Finalität resultiert nicht aus einem Übergewicht des Negativen aus Hammerschlägen, Mollschluß oder melodischen Zerrbildern, sondern aus einem Gang ans Extrem der symphonischen Arbeit mit formimmanenten Gegensätzen.« In der Spannung von thematischem und prä- oder unthematischem Material habe die große Form das Terrain ihres integrierenden Vermögens ausgemessen und damit die Grenze des für sie schlechthin Bedrohlichen berührt.37
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Oechsle S. 168 und 181.
Oechsle wendet sich intensiv dem Motto zu, weist seine unthematische Gestalt nach und ermittelt seine Funktion im Satzverlauf. Entsprechend der formimmanenten Fragerichtung bleibt aber offen, warum es sich in dieser Art und Weise präsentiert: Wechsel von Dur nach Moll, gleichzeitig von ff nach ppp mit der Anweisung »morendo«, Blechbläserklang, Trommelwirbel, militärischer Rhythmus in den Pauken. Ebenso bleibt offen, warum das Hauptthema am Beginn der Exposition Marschcharakter und eine »militärische Prägung«38
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Oechsle S. 168.
besitzt.

Untersuchungen dieser formimmanenten Art führen prägende Aspekte des Werkes zutage, aber ihrer Natur entsprechend lassen sie auch Fragen nach Charakteristika des Werkes unbeantwortet: Es zeigt sich eine Diskrepanz zwischen der großen Aufmerksamkeit für Formprozesse und der vergleichsweise geringen für andere musikalische Gestaltungsmerkmale. Mahler, der in seinen ersten vier Symphonien dezidiert Inhalte mitteilen wollte, wofür Texte, Programme, Liedzitate und andere musikalische Semanteme eindeutig Zeugnis ablegen, soll es hier, in der Sechsten, vornehmlich auf die Lösung von Sonatensatzproblemen oder auf die Fortschreibung der Gattungsgeschichte abgesehen haben? Und daß die Rätsel, die nach Mahlers eigenen Worten die Sechste Symphonie aufgibt39

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Mahler, Briefe, S. 295, Mahler, Unbekannte Briefe, S. 147, Eduard Reeser, Gustav Mahler und Holland, Wien 1980, S. 72.
, solche von Formproblemen und thematischen Prozessen seien40
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Oechsle S. 175.
, läßt sich auf Mahler selbst nicht zurückführen. Außerdem gelangte Mahler in seinen folgenden Symphonien zu Textvertonungen zurück, so in der Achten und im Lied von der Erde, und arbeitete wieder stärker mit Zitaten, wie in der Siebten und in der Neunten. Schließlich richtete sich seine

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