- 9 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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»Ernst zu nehmen sind daher die Zeugnisse der zeitgenössischen Rezeption wie auch die Belege für spätere Wandlungen in der Rezeptionsgeschichte. Denn erst die Summe solcher Aspekte vermittelt ein Bild vom Rang der Werke, von ihrer historischen Bedeutung und von ihrem künstlerischen Potential. [...]
Zwischen einem Relativismus, dem alle Phasen der Rezeption gleichrangig sind, und einem Dogmatismus, der sich auf einzig richtige Urteile beruft, kann eine Rezeptionsgeschichte vermitteln, die im Rückgriff auf die Werke die Zeugnisse der Rezeption untersucht. Und die Fülle möglicher Aussagen in der Rezeption läßt sich als Summe der im Werk angelegten Möglichkeiten verstehen. So können wir Rezeptionsgeschichte als Herausforderung der Musikwissenschaft auffassen, sofern sie auf die Bestimmung historischer Kategorien und auf die Begründung des heutigen Urteils abzielt.«32
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Hermann Danuser, Friedhelm Krummacher (Hg.), Rezeptionsästhetik und Rezeptionsgeschichte in der Musikwissenschaft, Laaber 1991, S. 10f.; ähnlich auch Friedhelm Krummacher, Gustav Mahlers III. Symphonie. Welt im Widerbild, Kassel 1991, S. 54.

Dieser Position ist die vorliegende Untersuchung verpflichtet. Sie will der Interpretationskonstante im Rückgriff auf das Werk – und seinen Schöpfer – zwischen Relativismus und Dogmatismus eine Rolle zuweisen und die Frage beantworten, ob sie einen Beitrag zum Verstehen des Werkes leisten kann.

b.  Zur Forschungssituation

Die Bezüge zwischen der Biographie Mahlers und seiner Musik wurden in der Vergangenheit vor allem von Constantin Floros aufgearbeitet. In seinen Arbeiten stehen allerdings literarische und philosophische Interessen Mahlers im Mittelpunkt, und politisch-gesellschaftliche Entwicklungen seiner Zeit werden weniger behandelt. So kommt bei Floros auch Mahlers starke Neigung zu den Texten der Wunderhorn-Sammlung kaum zur Sprache, ganz zu schweigen von der Affinität des Komponisten zur Soldatenthematik innerhalb dieser Sammlung.33

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In seinem jüngsten Mahler-Buch geht Floros etwas intensiver auf Mahlers Textauswahl ein und vergleicht ihn mit Brahms und Hugo Wolf. Aber auch hier wird die Affinität zur Soldaten-Thematik nur erwähnt und nicht hinterfragt. (Constantin Floros, Gustav Mahler. Visionär und Despot, Zürich-Hamburg 1998).
Die Interpretation der Sechsten Symphonie steht eher am Rande. Er stützt sich in seiner Deutung auf die Erinnerungen Alma Mahlers und auf das frühe Mahler-Schrifttum, auf Specht, Adler und v.a. auf Bekker. Das Antizipatorische der Musik wird postuliert, aber ganz auf die private Sphäre Mahlers begrenzt, also auf den Tod des Kindes, die Demission an der Wiener Oper, die Feststellung des Herzleidens und den eigenen Tod.34
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Constantin Floros, Gustav Mahler III. Die Symphonien, S. 155–183.

Floros ist aber ein Außenseiter innerhalb der deutschsprachigen Mahler-Forschung. Diese hat sich neben philologischen Fragestellungen, die den Schaffensprozeß und die letztgültige Fassung der Werke ergründete, vor allem mit analytischen Untersuchungen beschäftigt, vielfach indem sie eine Erweiterung und Diskussion der Adornoschen Grundlagen vornahm. Hier ist an erster Stelle Bernd Sponheuer zu nennen, der den Nachweis unternahm, daß die Negativität des Finales der Sechsten, das Scheitern der affirmativen Lösung, in der konkreten musikalischen Logik


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