- 132 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Hinweise Mahlers eine Kontroverse darum eigentlich hätte gar nicht aufkommen dürfen15
15
Hilmar-Voit, Im Wunderhorn-Ton, S. 31.
, scheint Adorno dieser Position in seinem Mahler-Buch 1960 entgegengetreten zu sein. Die Wunderhorn-Lieder und ihre Texte behandelt er nur ganz am Rande, sie werden allein als Materialsubstanz für die Symphonien ernst genommen, sind als Werke an sich im Rahmen seiner Mahler-Interpretation eigentlich aber kaum existent. An den wenigen Stellen, an denen er im Verlaufe seines Buches auf diese Lieder zu sprechen kommt, ist seine Aussage seltsam ambivalent zwischen Objektivität und Subjektivität. Er bezeichnet zunächst die Ausführungen von Richard Specht, dargelegt in der Vorrede zur Taschenpartitur der Wunderhorn-Lieder in der Universal-Edition, als »unsäglich«. Specht überrasche jedoch mit der Bemerkung, es handele sich nicht um subjektive Lyrik.16
16
Adorno, Mahler, S. 104.
Specht hatte außerdem postuliert, die Lieder seien fern von jedem autobiographischen Bekennen. Adorno greift die Bemerkung Spechts auf und findet bei Paul Bekker eine Fortführung dieses Gedankens, den er zitiert:

»Das Lied wird aus der Enge subjektiven Gefühlsausdrucks hinausgehoben in die weithin leuchtende, klingende Sphäre des sinfonischen Stiles. Dieser wiederum bereichert seine nach außen drängende Kraft an der Intimität persönlichsten Empfindens. Dies erscheint paradox, und doch liegt in solcher Vereinigung der Gegensätze eine Erklärung für das seltsame, Innen- und Aussenwelt umspannende, Persönlichstes und Fernstes in sein Ausdrucksbereich einbeziehende Wesen Gustav Mahlers.«17

17
Paul Bekker, zitiert bei Adorno S. 104.

Adorno verfolgt dann aber die Seite der Objektivität in Mahlers Liedern weiter. Nach seinen Ausführungen haben die Lieder mit Mahler selbst wenig zu tun:

»Wem Mahler diese Lieder in den Mund legt, ist ein anderer als das kompositorische Subjekt. Sie singen nicht von sich, sondern erzählen, epische Lyrik, [...]. Solche stilisierte Objektivität bildet das homogene Medium von Mahlers Liedern und Symphonien.«18

18
S. 105.

Vorher hatte er allerdings wiederum anderes behauptet:

»Wahlverwandt war Mahler seinen Texten weniger in der Illusion des Heimeligen als im Vorgefühl unverändert wilder Zeitläufte, das ihn in geordnet spätbürgerlichen Verhältnissen überfiel, vielleicht motiviert von der Not seiner eigenen Jugend. Seinem Mißtrauen gegen den Frieden der imperialistischen Ära ist Krieg der Normalzustand, die Menschen sind wider ihren Willen gepreßte Soldaten.«19

19
S. 67.

Das bedeutet doch nichts anderes, als daß Mahler mit der Vertonung dieser Texte – der Soldatenlieder – seine Wahrnehmung der Gegenwart zum Ausdruck bringt. Und auch in Adornos Schlußpassage seines Buches führt er genau die Figuren der Soldatenlieder an – den Straßburger Deserteur, den Tamboursg’sell, die verlorene


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