- 31 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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auf Mahlers Schwester Justine zurück; berichtet wird es von ihrem Sohn Alfred Rosé im Jahre 192865
65
Blaukopf, Dokumente, S. 197.
.

Adler hatte Ende Dezember 1888 für eine Parteiversammlung im niederösterreichischen Hainfeld eine »Prinzipienerklärung der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs« redigiert, mit der die neue Partei gegründet wurde. In dieser Erklärung, die der österreichischen Arbeiterbewegung für die Folgezeit Ziel und Richtung gab, heißt es unter Punkt 6:

»Die Ursache der beständigen Kriegsgefahr ist das stehende Heer, dessen stets wachsende Last das Volk seinen Kulturaufgaben entfremdet. Es ist daher für den Ersatz des stehenden Heeres durch die allgemeine Volksbewaffnung einzutreten.«66

66
Zit. nach Max Ermers, Victor Adler, S. 177.

Im Juni des folgenden Jahres 1889 wurden verschiedene sozialdemokratische Einrichtungen verboten, darunter auch Adlers Zeitung Gleichheit, und er selbst zu vier Monaten strengen Arrests verurteilt, den er von Februar bis Juni 1890 abzuleisten hatte, gerade während in Österreich zum ersten Mal der 1. Mai als Arbeiterfeiertag begangen wurde.67

67
Ermers, ebd. S. 184, 194.
In dieser Zeit komponierte Mahler sein erstes Wunderhorn-Lied mit Soldaten-Thematik: Zu Straßburg auf der Schanz’.

Am 21. Juni 1893 schrieb Mahler aus seinem Sommerdomizil in Steinbach am Attersee an Arnold Berliner, den befreundeten jüdischen Physiker (1862–1942): »Was sagen Sie zu den Wahlen? Ich habe an Sie gedacht!«68

68
Mahler, Briefe, S. 110.
Mahler spricht hier die Wahlen zum neunten deutschen Reichstag vom 15. Juni 1893 an, die einen Rechtsruck hervorbrachten, bei dem die Position des Reichskanzlers Graf von Caprivi gestärkt wurde. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand die von Caprivi geforderte Erhöhung der Heeresstärke in Friedenszeiten um 72000 auf ca. 500000 Mann. Durch den Wahlsieg konnte Caprivi die vorher gescheiterte Regierungsvorlage zur Heeresverstärkung durchsetzen.69
69
Chronik der Deutschen, Dortmund 1983, S. 658.
Mahlers Briefäußerung weist darauf hin, daß er solche politischen Entwicklungen durchaus zur Kenntnis nahm. Nach seiner bisher erfahrenen Grundhaltung konnte dieser politische Ruck kaum seine Zustimmung gefunden haben.

Ferdinand Pfohl teilt in seinen Erinnerungen eine Begebenheit mit, die ein Licht auf Mahlers soziales Empfinden wirft. Auf einem gemeinsamen abendlichen Spaziergang seien sie von einer armen Frau um Geld angebettelt worden. Beide hätten ihr drei Mark gegeben. Beim anschließenden Abendessen – es gab u.a. Hummer – sei Mahler sehr schweigsam gewesen und habe gesagt, man hätte sie mitnehmen müssen zum Essen im Hotel. Danach habe Mahler die Idee gehabt, sie zu suchen, und Pfohl hatte Mühe, Mahler von diesem »edel gewollten, aber ganz törichten und aussichtslosen Rettungswerke abzubringen«. Pfohl kommentiert die Situation: »Ich kannte ihn schon zur Genüge, um zu wissen, daß er nur ein Theoretiker der Menschenliebe, nicht aber ein werktätiger Bekenner des Mitleides war.«70

70
Ferdinand Pfohl, Gustav Mahler. Eindrücke und Erinnerungen aus den Hamburger Jahren, hg. v. Knud Martner, Hamburg 1973, S. 26.


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