- 34 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Am 14. Januar 1897 bezeichnete er in einem Brief an Max Marschalk sein Judentum als das Hindernis aller Hindernisse für eine Berufung nach Wien, zur gleichen Zeit nannte er es gegenüber Arnold Berliner als den Stolperstein83
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Ein Glück ohne Ruh’. Die Briefe Gustav Mahlers an Alma. Erste Gesamtausgabe, herausgegeben und erläutert von Henri-Louis de La Grange und Günther Weiß. Berlin 1995 [= Briefe Mahlers an Alma], S. 192f.
.

Und am 25. Januar 1897 schrieb er wiederum an Ödön von Michalovich:

»Wie meine Informatoren mir berichten, wäre an meiner Berufung nicht zu zweifeln, wenn ich nicht – Jude wäre. Aber letzterer Umstand wird doch wahrscheinlich den Ausschlag geben, und so dürfte wohl Mottl, ...als Sieger hervorgehen! Eine Äußerung Liechtensteins – gelegentlich einer Intervention eines meiner Protektoren, der mir nicht genannt wird (aber ich kann wohl vermuten, daß dies Ihr oder des Grafen Apponyis Gesandter war) – läßt mich freilich noch nicht alle Hoffnung aufgeben. Er sagte nämlich, als dieser betreffende Gönner meine Abstammung berührte: ›So weit sind wir in Österreich doch nicht, daß der Antisemitismus hier den Ausschlag gibt.‹«84

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Blaukopf, Dokumente, S. 210.

In einem Punkte sagt Mahler Michalovich die Unwahrheit: Seine Konversion zum Katholizismus fand nicht bald nach seinem Abgange von Pest statt, also Anfang der 1890er Jahre, sondern erst nach jener Erwähnung in dem Brief, am 23. Februar 1897 in der Kleinen Michaeliskirche im Hamburger Stadtteil St. Ansgar. Die Möglichkeit, daß Mahler mit seinem »Übertritt zum Katholizismus« einen inneren, geistigen Wandel gemeint haben könnte, oder auch einen nicht dokumentierten Taufvollzug, ist nicht gänzlich auszuschließen, aber weniger wahrscheinlich angesichts der erkannten Hindernisse für eine Berufung nach Wien. Immerhin sei darauf hingewiesen, daß die Thematik der Zweiten Symphonie, die in den ersten Hamburger Jahren entstand, dezidiert christliche Inhalte zum Ausdruck bringt; das gilt auch für das Lied Das himmlische Leben aus dieser Zeit. Die Vorverlegung des Übertritts zum Katholizismus muß jedoch im Zeichen einer Verbesserung seiner Chancen in Wien gesehen werden. Die gehäufte Erwähnung der Nachteile seines Judentums in den Briefen von Dezember 1896 und Januar 1897 und das Taufdatum im Februar des Jahres stiften diesen Zusammenhang. Die zeitliche Vorverlegung soll dokumentieren, daß die Konversion eine eigenständig vollzogene, innere Entscheidung war und eben nicht ein rein formales Einlenken auf die Erfordernisse eines Hoftheaters darstellt. An der Vorverlegung des Taufdatums hielt Mahler auch später fest. Guido Adler postulierte 1916, Mahler sei zwei Jahre vor seinem Wiener Amtsantritt Katholik geworden85

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Adler, Mahler, S. 19f.
; genauso ist es bei Arthur Neißer 1918 zu lesen.86
86
Arthur Neißer, Gustav Mahler, Leipzig 1918, S. 48.
Und auch gegenüber Ludwig Karpath sprach er von einem früheren Taufdatum (s.u.).87
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Karpath, Begegnung, S. 110f.
Dennoch geht aus Mahlers Äußerungen – er sagt, er sei als Jude geboren und spricht von seiner Abstammung – seine Erkenntnis hervor, daß der gegen ihn gerichtete Antisemitismus nicht religiös, sondern rassistisch orientiert ist. Ludwig Karpath erinnert sich der Aussage Mahlers aus der ersten Wiener Zeit, daß er trotz seiner Taufe bei den Antisemiten als Jude gelte.88
88
Karpath, Begegnung, S. 179.
Und noch zehn Jahre später schrieb er

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