- 348 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Mahler’s Sechste, die »Tragische« [. . . ] Warum sie den Titel führt, ist nicht recht erfindlich. Haben wir es mit einem Hymnus auf die Kraft oder auf den Zwang zu tun? Fast scheint das letztgenannte Motiv leitendes Moment zu sein, denn Rhythmus und melodische Bildung deuten gar oft in ihren ganzen Bildungen auf Frohn und Unfreiheit hin. Jedes Aufgebot an Energie zerschellt hier, [. . . ] Manches Interessante, auf das Naturell Mahlers grelle Streiflichter Werfende steckt in der Partitur. [B20/B]

Unaufhörliche Spannungen und Steigerungen ohne eigentliche Entladungen [. . . ] eine umdüsterte Welt, die mehr auf unglückliche Hinneigung des Dichters zum Pessimismus, als auf unverdientes tragisches Geschick schließen läßt und damit auch unser Mitgefühl nicht stark herausfordert. [B20/B]

Mahlers Sechste ist kein Werk, das zu Jubelausbrüchen reizt [. . . ] trotz der Sprödigkeit des Werkes [F20/A]

die tragische zubenannt [. . . ] Diese tragische Sinfonie [. . . ] würde ihn barocker erscheinen lassen als er war [. . . ] [F20/B]

die heiklichste und problematischeste der neun symphonischen Schwestern [W20/A]

Das Pathetische »liegt« ihm [Fried] besonders, und auch unsrer Zeit, die in den Nöten des Tages fast unbewußt das Verständnis für die Schmerzen des Genies in sich zu fühlen beginnt. Mußte wirklich ein Weltkrieg kommen, um die Menschheit für Mahler innerlich reif zu machen? [W20/B]

dieser spröden und in ihrem Ergebnis zur Zerknirschung stimmenden Schöpfung [Wb21/C]

Der Inhalt ist ganz der Empfindung erschlossen und läßt sich kaum in Worte fassen. [Wb21/D] diese monströse Sinfonie [H21/A]

das monströse, sich in vielen Widersprüchen bewegende [. . . ] Werk [. . . ] Diese sechste Symphonie Mahlers, die sehr zu Unrecht die »tragische« genannt wird, ist vielmehr eine phantastische. Da werden die Geister E. T. A. Hoffmanns wieder lebendig, da gibt es tollen Spuk von Kobolden und Gespenstern, dazwischen die Evolutionen des lachenden Philosophen und des ernsten Grüblers, der mit seiner Weltflucht nach den höchsten Höhen strebt. [H21/B]

nicht nur das Sprödeste [. . . ], sondern auch wohl das unfroheste und unerfreulichste Werk der ganzen Gattung: Unerbittlich, grausam, erbarmungslos und hart zieht diese Sinfonie, die dem üblichen Typus der »durch Kampf zum Sieg«, oder der »per aspera ad astra«-Sinfonie die Sinfonie eines durch »Kampf zum Untergang« entgegenstellt, an uns vorüber. Kein Lichtblick fällt in sie hinein, kein Ton der Liebe, der Güte und des Mitleids erklingt in ihr, niemals erhellt sich in ihr die gedrückte Atmosphäre; rücksichtslos verfolgt Mahler in ihr den Weg, wie ihn der Ausgangspunkt und die richtunggebende Idee des Werkes bestimmten, wie ihn die psychischen Voraussetzungen, unter denen die Sinfonie entstand und das Ziel, dem sie zustrebt, vorschreiben. Die Sinfonie führt den charakteristischen Titel »die Tragische«, auf Mahler selbst ist diese Etikettierung, nicht mit Sicherheit zurückzuführen, und tragisch ist in der Tat die Sinfonie auch nur bis zu einem bedingten Maße. Wohl zerbricht in dieser Sinfonie der Held an den Widerständen der Materie und an den Einwirkungen von außen her, aber oberhalb der Tragik des Einzelfalles triumphiert doch die geistige Idee; sie lebt trotz der zermalmenden Hammerschläge und des katastrophalen Abschlusses dieser Sinfonie weiter und sie führt den Schöpfer dieser Sinfonie in die bejahenden und durchaus nicht pessimistischen Bezirke der folgenden, aus der Einsamkeitssphäre der Sechsten wieder zu den Menschen zurückkehrenden und die Menschheit segnenden Schlusswerke Mahlers. Als Einzelerscheinung kann man diese VI. Sinfonie kaum richtig einschätzen und entsprechend bewerten; nur im Zusammenhang mit dem Gesamtschaffen Mahlers ist sie, die Mahler in einer Zeit schrieb, als er sein idealistisches Streben bittersten Kränkungen und ungerechten Vorwürfen ausgesetzt sah, zu verstehen. Nur eine solche Erkenntnis gibt uns Aufschlüsse über das Autobiographische dieser VI. Sinfonie[,] nur aus solcher Erkenntnis erwächst uns Verstehen und Teilnahme für den »Ausmarsch« des ersten Satzes, für des Helden Weltflucht in diesem Abschnitt, für den Einsamkeitsdrang, der den Helden von der Welt wegführt dorthin, wo ihn nur noch das Geläut der Herdenglocken erreicht hat, die nach Mahlers eigenen Worten »Symbol völligen Alleinseins und des über der Welt-Stehens« sind. In dieser formal und im Aufbau höchst eigenartigen Sinfonie, innerhalb deren das wesentliche und entscheidende Geschehen dem in Kolossalmassen angelegten Finalsatz anvertraut ist, haben die beiden Mittelsätze nach allgemein gewordener Auffassung eine

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