Ruslan und Ludmilla von Glinka und Die Mai-Nacht von Rimski-Korsakow.163 Keiner dieser Pläne konnte realisiert werden. Stattdessen erschien aus dem russischen Repertoire Jolanthe und Pique Dame von Tschaikowsky in den Jahren 1900 und 1902; schon 1897 war Eugen Onegin erstaufgeführt worden.164 Einer Einladung nach Brünn Ende 1904 zur Uraufführung von Janáčeks Oper Jenufa leistete Mahler nicht folge; seiner Bitte, ihm einen Klavierauszug mit deutschem Text zuzusenden, kam seinerseits Janáček nicht nach.165 Im November 1900 brachte Mahler die Oper Der Bundschuh des österreichischen Komponisten Josef Reiter heraus. Diese deutsche Nationaloper, die im Bauernkrieg handelt, sei Mahler aus diplomatischen Gründen diktiert worden, als Konzession an die nationalistische Partei, so vermutet La Grange.166 Die Oper brachte es auf fünf Aufführungen, von denen Mahler vier dirigierte.167 Das hier durchaus anzutreffende Interesse Mahlers an national orientierter Musik differenziert sich in einem Brief an Alma vom Oktober 1908 aus Helsingfors: »Im Conzert hörte ich auch einige Stücke von Sibelius, dem finnischen National-komponisten, von dem nicht nur hier, sondern auch in der musikalischen Welt, großes Aufheben gemacht wird. In dem einen hörte ich ganz gewöhnlichen Kitsch durch diese gewissen ›nordischen‹ Harmonisationsmanieren als nationale Sauce angerichtet. ›Pui Kaiki‹. So sehen übrigens überall die Herren nationalen Genies aus. In Russland und Schweden ist ein Gleiches – und in Italien dieser Huren und Louis erst recht. Da macht Axel mit seinen 12 Schnäpsen vor der Suppe und seiner Jolle doch ein anderes Gesicht und man spürt das Echte an seiner Gesundheit und Race.«168 Briefe Mahlers an Alma, S. S. 344. |
Mahler hörte in dem Konzert die symphonische Dichtung Varsang (Frühlingslied) op. 16 und die Valse triste. »Pui kaiki« ist der Ausdruck der kleinen Tochter Mahlers für »Pfui Teufel«. Sibelius selbst ist für Mahler ein »äußerst sympathischer Mensch«.169 Briefe Mahlers an Alma, S. S. 345. |
Die scharfe Kritik, die Mahler hier an die Entwicklung der nationalen Musik richtet, ist auf seine Enttäuschung über die musikalische Faktur dieser Kompositionen zurückzuführen und innerhalb seines Musikverständnisses folgerichtig. Oberster Maßstab aller Entscheidungen bilden für ihn seine Kriterien musikalischer Qualität. Er zeigt Interesse, solche Kompositionen – seien sie für die Bühne oder den Konzertsaal – aufzuspüren und aufzuführen, setzt diese auch gegen Widerstände durch, verzichtet aber auf sie, wenn er von deren musikalischer Qualität nicht überzeugt ist. Welche italienischen Musiker er hier im Auge hat, muß offen bleiben. Auch die italienischen Opernkomponisten nach Verdi standen in seinem Repertoire an der Wiener Oper.
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