- 48 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Beziehung III: Gerhart Hauptmann

Der im Zusammenhang mit den Meinungsverschiedenheiten zwischen Mahler und Pfitzner genannte Gerhart Hauptmann verdient eine eingehendere Betrachtung, denn Mahler scheint sich dem sozialkritischen Schriftsteller außerordentlich verbunden gefühlt zu haben. Er äußert seine Empfindungen gegenüber Hauptmann in seltener Deutlichkeit in zwei bisher unveröffentlichten Briefen.170

170
Int. Mahler-Gesellschaft Wien.
Der erste trägt das Datum vom 7. März 1904:

»[...] Wir wollen es einander aussprechen, damit es uns nicht verloren geht im Lebenslauf, der uns leider für so lange auseinanderführt: daß wir zueinander gehören, und daß der Bund, der sich ohne unser Zuthun so schnell gefügt hat, mit unserem Wissen und Wollen bestehen bleiben soll. Sie müßten nur wissen, wie einsam und stumm ich hier dahinleben muß, um zu ermeßen, wie sehr es mir in den wenigen Tagen zur lieben Gewohnheit geworden ist, mit ihnen zusammenzukommen, und zu reden und zu denken über Alles, was sich im Laufe der Jahre in mir aufgehäuft hat. Und das war alles nur ein Anfang – nur ein erster Anfang, sich über Empfindungs- und Ausdrucksweise zu verständigen; wie es 2 Menschen thun, die sich nach langer Meerfahrt auf der Küste zusammenfinden, und zu ihrer unaussprechlichen Freude entdecken, daß sie Heimathgenossen sind. – Jeden Nachmittag war es mir in diesen Tagen, als müßte ich Sie aus dem Hotel Sacher zu einem Bummel abholen und wir giengen zusammen durch die Straßen und Plätze und genössen die Stunde und dächten nicht der nächsten. [...]«

Diese Ausführungen decken sich mit den Erinnerungen, die Alma Mahler über Begegnungen zwischen Mahler und Hauptmann Anfang Mai 1904 äußert. Mahler habe intensiven Meinungsaustausch mit Hauptmann gepflegt, während er mit vielen Persönlichkeiten der Wiener Gesellschaft, z.B. mit Hermann Bahr, kaum in Kontakt gekommen sei. In einem weiteren, undatierten Brief spricht Mahler noch einmal die tiefe Beziehung zu Hauptmann an. Er dürfte später geschrieben worden sein, denn nun duzt er den Schriftsteller, was er im übrigen sonst nur gegenüber Verwandten und Jugendfreunden tat. Es heißt:

»Sollten wir nicht doch noch einmal eine Wegstrecke des Lebens zusammen zurücklegen können? – Mein Verhältnis zu Dir ist – ich fühle das immer – durch die Empfindung geschlossen – wie eine Jugendfreundschaft! Der Verstand kommt langsam nach und braucht noch einiges Zusammenleben.«

Alma Mahler beendet ihren Bericht über die Begegnung von 1904 mit der Bemerkung, daß bald ein »längerer und für uns bedeutungsvollerer Aufenthalt« Hauptmanns in Wien käme.171

171
Alma Mahler, Erinnerungen, S. 91–93.
Dieser Besuch fand im Frühjahr 1905 statt, und hier ereignete sich auch der oben erwähnte Disput mit Pfitzner. Auch über diesen Besuch Hauptmanns in Wien berichtet Alma ausführlich und betont wiederholt das tiefe Verständnis zwischen Mahler und dem fast gleichaltrigen Dichter (1862–1946).172
172
Alma Mahler, Erinnerungen, S. 108–111.
Die Aufführung von Hauptmanns Werken war in jener Zeit in Wien von

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