- 88 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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All das ereignet sich auf dem Baß-Ostinatoton D mit Auftakt A. Man könnte diese Takte 154–157, deren Text »Des Morgens stehen da die Gebeine« lautet, durchaus als bitonal bezeichnen. Die nachfolgenden Takte sind harmonisch wieder »richtig«. Ab »Die Trommel steht voran« wird selbige von den nun wieder arco zu spielenden Streichern imitiert. Gegen Ende (ab Takt 164) geben die in sehr hoher Lage gesetzten Holzbläser eine grelle Färbung. Der bewußte Mollschluß der Singstimme – sie endet auf der Mollterz f – wird im folgenden Takt nach D-Dur geführt, dem ein Es-Dur-Auftakt vorausgeht. Die Fanfare ist also falsch, entweder im Es-Dur-Auftakt oder im Zielton fis; vorher, im Verlauf des Liedes ist sie immer richtig erklungen. Die Trompeten verbleiben auf dem Dur, während die Holzbläser und die Streicher col legno eine leere Quinte spielen. Die Fanfare als Militärsymbol, die verkehrt ist, und das Marschmotiv, das col legno gespielt den Tod symbolisiert, zeigen gemeinsam die Quintessenz des Werkes. Die zuversichtliche Stimmung der Militärmusik ist in ihr Gegenteil verkehrt. Sie ist noch erkennbar, wirkt aber völlig anders, nämlich deprimierend und falsch. Nichts ist so, wie es der verbreiteten Vorstellung entspricht. Humor ist in diesem Werk nur in Form von beißendem Spott und diabolischem Hohn enthalten, der allenfalls als schwarzer Humor angesprochen werden kann. Eher läßt sich hier mit dem Begriff Ironie operieren, denn Verfremdung und Verzerrung sind zentrale Mittel ironischer Gestaltung. Allerdings hat im Rahmen von Ironie die schauerliche Mystik, die Mahler in diesem Text erkannte, wiederum keinen Platz.

Die Frage, warum Mahler in diesem Werk einen Querschnitt – die Baumscheibe – seiner selbst sah, wie Natalie Bauer-Lechner ausführt, ist bei der Quellenlage zweifelsfrei nicht zu beantworten. Der Liedtext läßt sich aber durchaus autobiographisch verstehen: Vielleicht empfand er sich als Komponist von Feinden – etwa der Presse – bekämpft und vernichtet. Die Freunde – Komponistenkollegen und Musiker – kommen ihm nicht zu Hilfe, sondern kämpfen für sich selbst. Mahler sieht visionär seinen Erfolg nach dem Tode im Fortleben in seinen Werken – das »Schätzel« wäre dann das Publikum. Auch andere Anfeindungen kommen hier in Betracht, wie etwa der erfahrene Antisemitismus und der Widerstand gegen seine Theaterarbeit. Der Fortissimo-Schluß in D-Dur repräsentiert so den letztlichen Triumph. Eine Interpretation der Mahlerschen Vertonung unter dieser autobiographischen Sichtweise des Textes ist hier nicht Gegenstand der Untersuchung.

In unserem Zusammenhang ist bedeutsam, daß Mahler hier mit musikalischen Mitteln positive Werte des Militärs ganz ins Negative verwandelt. Das um die Jahrhundertwende verbreitet positive Gesicht des Militärs erscheint entstellt. Das tragische Schicksal des vom Krieg zugrundegerichteten und als Skelett wiedererstehenden Soldaten, das in der Textvorlage schon angelegt ist, aber von der Volksliedmelodie völlig verdrängt wird, kehrt Mahler in der ganzen Schauerlichkeit hervor. Bertolt Brecht greift dieses Sujet in seiner Legende vom toten Soldaten von 1918 wieder auf, ergänzt von den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges.

Erwähnenswert ist noch eine Rewelge-Vertonung von Armin Knab (1881–1951), die mit dem 11. Sept. 1914 datiert ist und 1921 im Rahmen seiner Wunderhorn-Lieder bei Breitkopf & Härtel erschien. Die Vertonung in e-Moll ist extrem schlicht angelegt. Die Melodie erscheint liedmäßig syllabisch und streng strophisch. In der Begleitung erscheinen lediglich der Grundton mit nachschlagendem Akkord, wodurch


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