- 89 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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es den Charakter eines »Gitarreliedes«57
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Oskar Lang, Armin Knab. Ein Meister deutscher Liedkunst, Würzburg 21981, S. 107.
animmt. Die absteigende Chromatik auf »Trallali« und der Schluß im ppp unterstreichen die ganz verhaltene Anlage des Liedes. Verbunden mit dem eingetragenen Entstehungsdatum liegt der Schluß nahe, daß es sich um ein Epitaph auf einen in den Anfängen des Ersten Weltkrieges gefallenen Freund handelt.

Der Schildwache Nachtlied

Die Analyse dieses Liedes konzentriert sich auf die Klavierfassung, um den Vergleich mit der Streicher-Vertonung (siehe folgende Seiten) zu ermöglichen, und geht auf die Orchesterfassung nur an einigen Stellen ein.

Mahlers Eingriffe in die Wunderhorn-Vorlage sind mehrfach diskutiert worden. Seine spezifische Anlage des Liedes, die von der Vorlage abweicht, kann nur mit Einbeziehung der Komposition verstanden werden. Bei der Vorlage handelt es sich um ein fünfstrophiges Nachtlied der Schildwache, zu dem eine sechste Strophe tritt, die in der Realität spielt. Das wird unter anderem daran sichtbar, daß die ersten fünf Strophen Anführungszeichen tragen, während diese bei der Schlußstrophe ausbleiben.58

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Über die Vorlagen, die Mahler benutzt haben könnte, vgl. Hilmar-Voit im Vorwort zur GA Band XIV, 2, S. XIIIf.
In der Frage, ob es sich um einen realen oder imaginierten Dialog handelt, scheint vieles für letzteres zu sprechen, u.a. der Titel, der auf das Lied eines Einzelnen verweist. Die Verteilung der Dialoglieder auf zwei Stimmen, wie es auf Tonträgern und Konzerten begegnet, ist nicht in Mahlers Sinn; er selbst hat die Lieder nie in dieser Art aufgeführt, obwohl Gelegenheit dazu bestand. Der Schildwache Nachtlied ist von der Mezzosopranistin Amalie Joachim59
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1839–1899, die Frau des Geigers Joseph Joachim.
am 12. Dezember 1892 in Berlin uraufgeführt worden. Mahler hat es zuerst am 27. Oktober 1893 in Hamburg dirigiert, gesungen von dem Bariton Paul Bulss. An jenem Konzert nahm auch die Sopranistin Clementine Schuch-Prosska teil60
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Vgl. die Übersicht in der GA Band XIV, 2, S. XIV-XXII.
, er hätte also die Dialogversion wählen können. Auch in allen späteren Aufführungen hat Mahler das Lied immer mit einem Bariton aufgeführt. Bei jener ersten Aufführung unter Mahler trug das Lied den Untertitel »eine Scene aus dem Lagerleben der Landsknechte«.61
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Ebd.

Mahler gestaltet gegenüber der Wunderhorn-Vorlage eine andersartige sechsstrophige Anlage, indem er die Worte, die von der Bedrohung der Schildwache durch einen Dritten handeln – »Halt! Wer da! Rund! – Bleib mir vom Leib« – in die fünfte Strophe vorzieht. Somit läßt sich der verbleibende Text für die sechste Strophe in der Gegensphäre gestalten und das Lied so enden. Die Schildwache kehrt also am Ende in die Sphäre der Imagination zurück. Auch die Redeanteile hat Mahler verändert. Bei ihm wird die Zeile »Bleib mir vom Leib« von der Schildwache gesprochen, während Mahlers Quelle, die in der Gesamtausgabe abgedruckt ist62

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Band XIII, Teilband 2b, S. 134.
, durch den Querstrich nach Mitternacht zum Ausdruck bringt, daß das »Bleib mir vom Leib« der Andere spricht. Diese Interpunktion findet sich allerdings in der kritischen Wunderhorn-Gesamtausgabe63
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Des Knaben Wunderhorn. Studienausgabe hg. von Heinz Rölleke, Stuttgart u.a. 1979, Bd. 1, S. 193f.
nicht. Dort folgt nach Mitternacht ein

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