- 95 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (94)Nächste Seite (96) Letzte Seite (410)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Es entstehen also eher fauxbourdon-artige Klänge, die jedoch innerhalb der Harmonik der Jahrhundertwende ebenso fremdartig wirken. Zu »Ade« erklingt dann eine »echte« Quintparallele: e-Moll-Quintlage gefolgt von h-Moll-Quintlage über dem Orgelpunkt h.



Bei Mahler lassen sich diese »falschen Setzweisen« als Verfälschungen erkennen: Zum einen wird der Marsch als Symbol des Militärs verfälscht, zum anderen die Kameraden – die Rund –, die keine sind.

In der Verfremdung der Militäridiome kommt das Befinden des Protagonisten – der Schildwache – zum Ausdruck, der das Militär für sich als fremd und falsch empfindet. Er sieht sich in seiner Rolle der Schildwache als Verlorenen und sehnt sich nach einem Mädchen, das in einer besseren Welt – im Rosengarten, im grünen Klee – auf ihn wartet und ihm Trost – Gottvertrauen – zuspricht. In der fünften Strophe kündigt sich, nachdem er die vom Mädchen zugesprochene Hilfe Gottes bezweifelt hat, die Wiederkehr einer Mädchenstrophe an. Untrüglicher Hinweis dafür ist das Zirkelmotiv, daß in der ersten Strophe im zehnten Takt, in der dritten Strophe im elften Takt (Takt 41f.) aufgetreten war und nun im zwölften Takt der fünften Strophe erscheint (Takt 74f.). Auf dessen letztem Ton in C-Dur ertönt dann völlig unerwartet der Ruf der Schildwache, wobei sich die Harmonik sofort über e-Moll nach a-Moll wendet. Daran schließen sich nochmals zwölf Takte an, in denen die Schildwache die Störung der anderen zurückweist, wonach das Zirkelmotiv die Rückkehr in die Traumebene ankündigt, die dann musikalisch auch eintritt. Eine nochmalige Vision des Mädchens bleibt jedoch aus. Die Störung hat dazu geführt, daß der Soldat sich der Verlorenheit seiner Rolle bewußt wird.

In diese erste Aussageebene ist in den Strophen vier und fünf eine zweite eingefügt, die Religionskritik. Ein Vergleich mit Theodor Streicher macht die Besonderheit Mahlers evident. Der Vorgabe der Gegenstrophe »an Gottes Segen ist alles gelegen, wer’s glauben tut« und der Antwort der Schildwache »Wer’s glauben tut, ist weit davon, er ist ein Kaiser. . . « fügt Streicher die Anmerkung hinzu: »Gott hilft dem, der an ihn glaubt. Antwort: Ja, Gott, der steht dem König bei; der ist aber weit von hier.« Hilmar-Voit vermutet, dieser Anmerkung liege die Angst zugrunde, eine unchristliche Aussage zu vertonen, daher drehe der Komponist die Aussage so, daß sie scheinbar den Sinn des Glaubens bestätigen. Bei Mahler findet sich eine derartige Anmerkung nicht. Er habe das Komma nach »wer’s glauben tut« weggelassen, wodurch eine Zusammenziehung beider Satzhälften erreicht wäre. Hierin bezieht sich Hilmar-Voit auf das Manuskript und die Erstausgabe der Klavierfassung, während die späteren Ausgaben wie auch die Orchesterfassung das Komma


Erste Seite (i) Vorherige Seite (94)Nächste Seite (96) Letzte Seite (410)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 95 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang