- 12 -Hinz, Christophe: Analyse und Performance mit der Software RUBATO 
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werden, sondern können sehr wohl auf andere Notationen Chopins selbst zurückgehen. Dementsprechend können abweichende Lesarten der Erstausgaben nicht ungeprüft als Fehler oder Unachtsamkeit des Stechers angesehen werden; es bleibt immer möglich, dass als Stichvorlage eine andere, möglicherweise heute nicht zugängliche Quelle gedient hat. Bei so unsicherer Quellenlage ist es so gut wie unmöglich zu entscheiden, inwieweit abweichende Lesarten der Erstausgaben auf bewusste Korrekturen oder Varianten der handschriftlichen Quellen zurückgehen. Dagegen besteht die große Gefahr, aus einem so umfangreichen Quellenmaterial Lesarten mehr nach dem persönlichen Geschmack als nach dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Quellengrundlage auszuwählen – eine Gefahr, der Paderewski in der polnischen Gesamtausgabe der Werke Chopins nicht selten erlegen ist. Alle die oben erwähnten Schwierigkeiten in der Quellenlage treffen für die Etüden zu (Chopin/Zimmermann [1983], S. iv).

Eine zweite harte Kritik der Paderewski-Ausgabe erwies sich indirekt als eine weitere Befürwortung der Henle-Ausgabe:

Of the ›source‹ or ›Urtext‹ editions produced following World War II, the most popular today is the Polish Complete Edition (›Paderewski Edition‹), based mainly on the work of Ludwik Bronarski. Yet whatever its pioneering significance, this is a deeply flawed text, selecting permissively from different sources, mistaking copies for autographs and basing orthography and phrasing not on legitimate sources but on unidentified recent editions and even personal judgments made in the light of particular harmonic theories (Michalowski/ Samson [2001], S. 723).

Der kritische Bericht der Henle-Ausgabe listet eine ganze Reihe von Abweichungen in den verschiedenen Quellen auf, besonders für die Etüde Nr. 11. In dieser Arbeit soll auf diese nicht weiter eingegangen und der gedruckte Notentext in seiner Gesamtheit übernommen werden, was die Notenhöhen und -dauern betrifft. Es ist aber notwendig, aus historisch-technischen Gründen einige Ergänzungen zu den anderen Angaben Chopins vorzunehmen.

Im Gegensatz zur heutigen Aufführungspraxis war es zu der Zeit Chopins üblich, den Notentext nur als grobe Grundlage einer Performance zu betrachten:

[W]e know from various extant copies of Chopin’s works used in teaching that he himself was in the habit of altering the ornementation, adding fiorituras and the like, even after the music had been published. Accounts relate that pianists contemporary to Chopin who took up his works, such as Liszt and Thalberg, would also change details [...]; once the music was published the composer relinquished any control over the way in which it was performed. During the first half of the nineteenth century the printed text was seen by many as the reference-point on which to build an ›interpretation‹. It was not perhaps until the inter-war years of this [20th] century that the published text of music became sacrosanct [...] (Methuen [1992], S. 192).

Es ist diese letzte, moderne Auffassung des Notentextes, die die Arbeiten an den Performances leiten soll.


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