- 15 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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Detlef Gojowy

Arvo Pärt im sowjetischen Umfeld

Von den Musikbeschlüssen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) im Februar 1948 (vgl. deutsche Übersetzung: Laux 1958), in denen Werke der bekanntesten sowjetischen Komponisten, wie Dmitri Schostakowitsch und Sergej Prokofjew, als volksfremd und formalistisch verurteilt wurden, mochte im Westen mancher Humanist den Eindruck gewinnen, daß es sich um eine innersowjetische kulturpolitische Auseinandersetzung handele. Die Komponisten hätten zu viel komplizierte Instrumentalmusik und nicht genügend mehrstimmige Vokalmusik geschrieben, das Vorbild der Klassiker sowie den Reichtum der einheimischen Volksmelodien unberücksichtigt gelassen - dem wäre ja vielleicht abzuhelfen gewesen. Tatsächlich erwiesen jedoch an diesen Beschluß knüpfende Entschließungen, Dokumente und Maßnahmen, daß es sich um einen gigantischen Versuch gewissermaßen im Weltmaßstab handelte, das Rad der Musikgeschichte um ein halbes Jahrhundert zurückzudrehen. Was hier verurteilt wurde, war nicht weniger als die Neue Musik der letzten fünf Jahrzehnte schlechthin.

"Die Methoden und Mittel, die durch Debussy, Ravel, Richard Strauss in den musikalischen Gebrauch kamen, waren in gewissem Maß noch geeignet, die künstlerische Palette der neuesten Kunst zu bereichern", heißt es in der programmatischen Nutzanwendung des Beschlusses Entwicklungswege der sowjetischen Musik unter der Redaktion von A.I. Schawerdjan. (1948, 20; deutsch von Gojowy 1980, 351)

"Später jedoch, gegen die 10-20er Jahre dieses Jahrhunderts, nimmt der bürgerliche Modernismus militant-anarchischen, zerstörerischen Charakter an. Die Musik, wie auch die Malerei, die Poesie, die Skulptur, wird betont missgestalt, in schreiender Weise verblüffend. Die klassischen Traditionen werden gröblich niedergetreten. Der emotionalen, schönen, melodisch klaren Musik wird der Krieg erklärt: man ersetzt sie durch den Kult der Bewegung, des Rhythmus, der Energie als Selbstzweck, durch die Jagd nach ungewöhnlichen harmonischen Effekten. Die urbanistische Entartung, die sich in der konstruktivistischen Geometrik der neueren bildenden Kunst, im wilden Unsinn der futuristischen Poesie ausgedrückt hatte, ergreift auch die neue Musik. 'Nicht der Gefühlsbereich, sondern Rhythmus und Bewegung scheinen mir die Grundlage des musikalischen Schaffens zu sein' - behauptet Igor Strawinsky. Die herrliche und begeisternde Musik, die im Verlauf vieler Jahrhunderte die Herzen der Menschen entflammt hat, entartet zur abstoßenden Kakophonie, zu einem Satz wilder naturalistischer Laute [...]. In fieberhafter Eile wechseln die Stile und Richtungen der bürgerlichen Dekadenz. Zur Ablösung des groben Konstruktivismus kommt eine ganze Serie erklärter restaurativer Schulen, die sich der allerneuesten modernistischen Restauration altertümlicher Stile zuwenden: die Neobachianer, der Neoklassizismus, Neoromantismus, die Wiedererweckung reaktionärster mittelalterlich-katholischer Vorbilder usf. Wie sich auch immer diese verschiedenen Schulen und Gruppierungen von Zeit zu Zeit untereinander befehden - sie vereint etwas Gemeinsames: der prinzipielle Antirealismus, die Ablösung vom realen


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