- 58 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (57)Nächste Seite (59) Letzte Seite (76)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

einen Vergleich beider Werke innerhalb ihrer aktuellen Rezeption. Wohlgemerkt ist dies keine empirische Arbeit, sondern eine ästhetisch-theoretische. Es soll die zeitgenössische Rezeption von Bach und Pärt explizit theoretisch erörtert werden, gerade um die Behebung der bemängelten hermeneutischen Defizite auch hermeneutisch zu lösen. Dies geschieht, indem das musikalische Material der beiden Kompositionen vor dem Hintergrund eines fiktiven Rezipienten des ausgehenden 20. Jahrhunderts reflektiert wird. Anhand der ästhetischen Erfahrung dieses gedachten Hörers werden die Johannespassionen von Pärt und Bach miteinander verglichen.

2  Rezeptionsästhetische Methodik

Folgende Punkte gelten in der Rezeptionsästhetik als zentral:
  1. Material: Der traditionelle hermeneutische Werkbegriff wandelt sich zu einem rezeptionsästhetischen Materialverständnis, das Bedeutung nicht ausschließlich im Kunstwerk sucht.
  2. Autor: Der Autor wird nicht mehr als alleiniger Sinnstifter seiner Kunst betrachtet.
  3. Rezipient: Auch der Rezipient von Kunst wird nun als Faktor der Interpretation begriffen.
  4. Konkretisation: Bedeutung von Kunst konkretisiert sich in der sich geschichtlich und sozial verändernden Begegnung vom Material des Kunstwerkes und seinem Rezipienten.
Mit Blick auf die bisher erschienenen Bach- und Pärtstudien erscheint insbesondere der Aspekt der Autorintention hinreichend analysiert (vgl. Kautny 1998, 1999). Defizite sind hingegen in der systematisch hermeneutischen Berücksichtigung des Faktors Rezipient zu beobachten. Aus diesem Grunde wird der hier verfolgte Ansatz die Rezipientenperspektive zuungunsten der Autorintention betonen. Der neue Verstehenshorizont für Bach und Pärt soll vor diesem Hintergrund ausdrücklich einen zeitgenössischen Blickwinkel einnehmen. Die entscheidenden Parameter sind folglich das musikalische Material, sein Rezipient und schließlich die Sinnentstehung: die Konkretisation.

Rezeptionsästhetik begreift das Material des Kunstwerks als "Wirkungsstruktur"(Iser 1976), als Potential von möglichen Wirkungen, die das Material hervorrufen kann. Damit verabschiedet sich die Interpretation von dem Gedanken, daß sich ein Kunstwerk auf einen einzigen Sinn zurückführen läßt. Zugleich ist dadurch die Relativierung des Autors als urheberrechtlicher Sinnstifter zugunsten einer Pluralität der Bedeutungen gegeben. Hans Robert Jauß zufolge ist die Ïdentität eines musikalischen Werkes nicht notwendigerweise in einem definitorischen Sinn begründet"(Jauß 1991, 15), sondern vielmehr als Sinnpotential zu begreifen. Demnach wird die Werkanalyse der Johannespassionen deren materiale Strukturen auf mögliche Wirkungspotentiale hin untersuchen. Zu welchen Selektionen von Sinn es im Rezeptionsprozeß kommen kann, führt uns zur "Frage nach den Bedingungen der Sinnkonstitution"(Iser 1976, 65), die rezeptionsästhetisch jedoch erst durch den


Erste Seite (1) Vorherige Seite (57)Nächste Seite (59) Letzte Seite (76)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 58 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik