- 9 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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Oliver Kautny

Zur Einleitung

1983 schreibt Wolfgang Sandner in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, daß sich in den "Wiederholungsritualien" von Pärts Kompositionen "[...] die spirituelle Erfahrung russischer Orthodoxie mit der Konzeption moderner minimalistischer Praktiken zu einem ungemein suggestiv wirkenden Klanggefüge"(Sandner 1983) verbindet. Nach Erscheinen der ersten Pärt-CD Tabula Rasa spricht Ulrich Schreiber sogar von einer "Sogwirkung"(Schreiber 1985), die von Pärts Musik ausgeht. Im kommenden Jahr resümiert Keith Potter schließlich über die Musik des Esten:

"[...] its power to move the listener is so strong that I'm tempted to add the work to the list of significant works of the last decade."(Potter 1986a)

Die Liste derartiger Äußerungen ließe sich mühelos fortschreiben und würde unzählige Beispiele aus Musikkritik wie Musiktheorie umfassen. Sie heben allesamt ein Phänomen hervor, das in der Pärt-Rezeption seit mehr als 20 Jahren eine hervorragende Rolle spielt - gemeint ist der Aspekt musikalischer Wirkung, die in Pärts Musik auf außergewöhnliche Weise angelegt zu sein scheint.

Dieses Wirkungsphänomen schreibt man heute allerdings nicht dem gesamten Œuvre Arvo Pärts zu. Es sind fast ausschließlich Werke nach Ausbildung seiner Tintinnabuli-Ästhetik (seit 1975-1976), die nach Gidon Kremers Welt-Tournee (ab 1977) und Pärts Emigration (Wien/Berlin 1980/1982) durch ihren phänomenalen Effekt bekannt wurden. Die komplizierte Rezeptionsgeschichte der verschiedenen Werke Pärts kann hier nicht im einzelnen aufgezeigt werden. Es bleibt festzustellen, daß sein avantgardistisches Frühwerk seither - vor allem in Westeuropa oder in den USA - im rezeptionsgeschichtlichen Schatten seiner tonalen, kontemplativen Folgewerke steht1, die sich rasant verbreiteten und einen Diskurs auslösten, der immer wieder nach deren ungewöhnlichen Wirkung und Rezeption fragte.

Daß Pärts Aufstieg zu einem der populärsten zeitgenössischen Komponisten zudem zu einer Zeit geschah, in der u.a. Tonalität, Kommunikation und Spiritualität zu hervorstechenden Merkmalen der ästhetischen Landschaft wurden, mag sicher kein Zufall sein. Ohne diese diskursiven Voraussetzungen der 70er und 80er Jahre wäre sein Weg zu Popularität und Ruhm ebensowenig denkbar wie die angesprochene Debatte über seine Musik.

Kaum eine Pärtstudie kommt seither ohne den Hinweis auf den nachhaltigen Eindruck aus, den Pärts Musik bei den Hörern hinterläßt, ohne den Hinweis auf die für zeitgenössische Musik ungewöhnliche Resonanz, die seine Werke erfahren. Auch wenn das ästhetische Urteil über Arvo Pärt dabei durchaus konträr ausfällt, bleibt die phänomenale Rezeption dieser Musik unbestritten. Gerade ihr Vermögen, Musikwissenschaft wie Musikkritik, Komponisten und Hörer quer durch alle Lager zu polarisieren, mag als Ausweis ihrer Wirkkraft gelten. Die Heftigkeit der Debatten über Pärts Musik zeugen davon. Exemplarisch mag hierfür die Kontroverse um


1 Dies trifft jedoch nicht auf viele der estnischen Zeitzeugen der für sie unvergeßlichen Uraufführungen von z.B. Credo, Nekrolog und anderen Werken dieser Zeit zu.

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