- 115 -Kayser-Kadereit, Claudia: Das Laiensinfonieorchester im Horizont von Anspruch und Wirklichkeit 
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auch durch die Klientel dieser Institute, wieder mehr Zulauf erhielten. Absolventen dieser Musikinstitute, die als saturierte Bürger eine entsprechende gesellschaftliche Position eingenommen hatten, brachten ihre musikalische Bildung als kulturellen Beitrag in das gesellschaftliche Leben ein. Diejenigen, die ein Orchesterinstrument erlernt hatten, fanden sich folgerichtig in Laienorchestern zusammen. Gegenüber dem klavierbezogenen häuslichen Rahmen war hier das Kriterium der Öffentlichkeit von entscheidender Bedeutung. Innerhalb der bürgerlichen Schichten standen ›Kenner‹ mit einiger musikalischer Fachbildung, die das Konzertwesen ablehnten und/oder journalistisch reflektierten, einer gefühlsmäßig anzusprechenden Masse von ›Liebhabern‹ gegenüber. Städte wie Leipzig, Frankfurt a.M., Hamburg, Berlin und Mannheim wurden führend in der Laienorchesterszene und ihrer Rezeption. Mit dem Konzertmarkt entstanden ein neuer Wirtschaftsfaktor, ein zunehmend anonymer Adressatenkreis und erste überregionale Konkurrenzerscheinungen, ausgelöst durch reisende Virtuosen. Parallel zu der Entwicklung der Laienorchester nahm in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Bedeutung der Kammer- und Vokalmusik, der entstehenden Berufsorchester und der Konzertagenturen zu. Zugleich wurde das Konzertwesen erstmals in bezug auf seinen Bildungsanspruch und seinen Bildungswert öffentlich reflektiert. Seither wurden ungebrochen sowohl der professionelle Konzertbetrieb als auch das Musizieren der Laienorchester mit einem musikalischen Bildungsbegriff verknüpft. Bis 1848 befanden sich vier Strömungen bürgerlicher Orchesterformationen im Aufwind, nämlich die ›musikalische Privatgesellschaften‹, die sich von der Öffentlichkeit abgrenzten und immer ihre Interessenten gefunden haben, sowie die zeitlich und örtlich begrenzten Großprojekte der ›Musikfeste‹ und die kontinuierlich stattfindenden ›Konzerte für Kenner und Liebhaber‹. Schließlich etablierten sich noch die ›bürgerlichen Concerthäuser‹, die sich am Geschmack des Kleinbürgertums, der Arbeiter und Bauern orientierten, die sich den verlangten Eintritt leisten konnten. Dementsprechend wurden besonders Potpourris, Nummernprogramme und modische Tänze musiziert, und die kulinarischen und geselligen Bedürfnisse erhielten ein größeres Gewicht. Hofkonzerte spielten im bürgerlichen Kultur- und Bildungsleben keine nennenswerte Rolle mehr. Das Bürgertum verkörperte als tragende Schicht der Laienorchester den Dualismus ökonomischer und ethisch-humanistischer Zielsetzungen. Im aktiven (Orchester-)Musizieren und in der passiven Teilnahme an Konzerten und Musikfesten unterschiedlichster Größenordnungen äußerte sich somit das Selbstbewußtsein des Bildungsbürgertums als gehobene Gesellschaftsschicht. War dann noch mit den Veranstaltungen ein sozialer oder wohltätiger Zweck verbunden, war die gesellschaftliche Anerkennung der Teilnahme umso größer. Die Entwicklung des Pressewesens ermöglichte darüberhinaus eine zunehmende Rezeption von kulturellen Ereignissen, und somit auch von Laienorchesterkonzerten in den Musikzeitschriften. Die Beurteilungskriterien im Vergleich zum professionellen Konzertwesen wurden allerdings zum ungelösten Streitpunkt. Die Möglichkeit, Bilder in den Wochenschriften zu veröffentlichen, ermöglichte eine bisher ungeahnte Streuung sowie einen überregionalen Vergleich und Informationsaustausch. Nach der gescheiterten Revolution von 1848 lösten sich viele Laienorchester im Zuge der Repressalien gegenüber dem Bürgertum auf. Erst ab ca. 1860 sammelten sich die Laienmusiker erneut in Ensembles, die, oft sich selbst überlassen, parallel zum neuhumanistischen Historismus der Geisteswissenschaften

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