- 114 -Kayser-Kadereit, Claudia: Das Laiensinfonieorchester im Horizont von Anspruch und Wirklichkeit 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (113)Nächste Seite (115) Letzte Seite (246)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

4.3.  Auswahlkriterien im historischen Kontext des Dachverbandes

Als sich 1924 Laiensinfonieorchester erstmals in einem Dachverband zusammenschlossen, hatten sich bereits drei Orchestertypen klar herausgebildet:

1. Das Collegium musicum war 1909 von HUGO RIEMANN am Leipziger Institut für Musikwissenschaft in Form eines Streichorchesters wiedererweckt worden, das sich der mittelalterlichen Musik und der Musik des 15./16. Jahrhunderts widmete. Daraufhin haben sich verschiedene Formen des Collegium musicum erneut etabliert:69

69 Vgl. GUDEWILL, Sp. 1560f.
Die einen orientierten sich an der musikwissenschaftlichen Arbeit. Hier sind z.B. FRIEDRICH BLUMES »Offene Musikabende« seit 1951 an der Universität Kiel mit prima-vista-Spiel und musikwissenschaftlichen Erläuterungen zu nennen. Anderen oblag die akademische Musikpflege. Das Collegium musicum galt dann als Angebot des Studium generale und wandte sich an alle Studierenden. Semesterabschlußkonzerte und Umrahmung akademischer Festakte gehören zu seinen typischen Auftrittsformen. Eine dritte Form trug zur städtischen Musikpflege bei. Dieses Collegium musicum wurde de facto zu einem bürgerlichen Musikverein, der interessierte Bürger zuließ, auch wenn das Ensemble einer Universität angegliedert blieb. Außerhalb der Universität fanden Konzerte für die städtische Öffentlichkeit statt. Zudem erfüllten sie in loser Folge die Aufgabe, das örtliche Konzertangebot und die eingeschränkte Reisetätigkeit der wenigen Berufsorchester zu ergänzen. Der Kern dieser akademischen Orchestervereinigungen bestand aus Streichern, und die Bläser ergänzten sich aus den Reihen ehemaliger Militärmusiker. Umgekehrt verloren viele Laienorchester ihre besten Spieler (Streicher und Bläser) aushilfsweise, oder vereinzelt auch dauerhaft, an neu entstehende Berufsorchester.70
70 Vgl. SCHÄFER, FB 1: »Die guten Streicher waren Verstärkung in den Berufsorchestern und spielten dort bei den Sinfoniekonzerten mit, oder das Beispiel Stralsund: Viele Bläser kamen von den Liebhaberorchestern dazu, wenn z.B. eine Wagner-Oper eine außergewöhnlich große Besetzung verlangte.«
Aus Besetzungsgründen sei somit »eine wechselseitige Unterstützung der Orchestervereine aus der Nachbarschaft«71
71 MANTZE 1958, S. 7.
erfolgt, aus der sich auch die gemeinsame Bewältigung von wirtschaftlichen, steuerlichen und urheberrechtlichen Sorgen ergab.

2. Die Entwicklung bürgerlicher Orchestervereinigungen ist auf ein allgemeines bürgerliches Bildungsinteresse in allen Bereichen der Kunst zurückzuführen. Es entwickelte sich im 18. Jahrhundert als eine Folgeerscheinung der Aufklärungsphilosophie und der Popularisierung von Wissenschaft und Kunst. Wachsender Wohlstand ließ kleinere und größere instrumentale Initiativen entstehen. Musikalische Bildung und Musikausbildung galten dem Bürgertum als grundsätzlich förderungswürdig. SOWA dokumentiert die überlieferten Pläne und Quellen der rund 70 erfolgten Gründungen öffentlicher Musikinstitute zwischen 1800 und 1843 und gibt die Zahl der Privatanstalten mit schätzungsweise 3500 für die deutschen Länder an.72

72 SOWA, S. 11 und 224; Vgl. GRUHN 1993, S. 89.
Diese 70 neuen »Institute zur Musikerziehung« leisteten eine entscheidende Hilfestellung beim Erwerb musikalischer (Aus-)Bildung in Musiktheorie und auf allen Orchesterinstrumenten. Die Folge war, daß gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Laiensinfonieorchester,

Erste Seite (i) Vorherige Seite (113)Nächste Seite (115) Letzte Seite (246)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 114 -Kayser-Kadereit, Claudia: Das Laiensinfonieorchester im Horizont von Anspruch und Wirklichkeit