- 166 -Kayser-Kadereit, Claudia: Das Laiensinfonieorchester im Horizont von Anspruch und Wirklichkeit 
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parallel zu seiner künstlerischen Verantwortung psychologisch und didaktisch Rechnung tragen. Die Notwendigkeit, innerhalb der Zielgruppenarbeit der Erwachsenenbildung (hier Laienorchesterarbeit), individuelle Beratungen und individuelle Ansprache in ihrer Bedeutung wahrzunehmen, ist von der allgemeinen Erwachsenenbildung auf die musikalische Erwachsenenbildung insgesamt, und somit auch auf Laienorchesterarbeit in jedem konkreten Einzelfall zu übertragen. Der Dirigent muß bereit sein, sich von einzelnen Orchesterspielern in die Verantwortlichkeit der Individualebene einbeziehen zu lassen, oder sich aktiv einzubringen, wenn ein individueller Störfaktor für das Ensemble auftritt (z.B. in bezug auf Spieltechnik, Instrumentenqualität, Privatunterricht, Trainingsformen von Orchesterstellen). Dies ist oft im Plenum während der Probenzeit nicht möglich, da die Assoziation von persönlicher Kritik aus professioneller Sicht (an einem Laien) aufgrund psychologischer Hemmschwellen der Betroffenen bei diesen vorprogrammiert ist.30
30 Vgl. HILBERT 1989a, S. 265: »Ungerecht empfundener Tadel kann zu ungeahnten Folgen führen. Ein Kursleiter muß es selbst auch einmal erlebt haben: In der Rolle eines Teilnehmers im Orchester sitzen, sein (Dritt-) Instrument nur unvollkommen beherrschen und dann vom Kursleiter auf eine lange selbst erkannte Unzulänglichkeit etwas schroff angesprochen werden«!
Fehler beim Musizieren sind unvermeidlich, und die Angst vor Fehlern in einem Ensemble wird durch die permanente Öffentlichkeit – und seien es nur die Pultnachbarn – gegenüber der privaten Häuslichkeit und der Situation im privaten Instrumentalunterricht mit einem vertrauten Lehrer deutlich verstärkt. So muß der Dirigent den Umgang mit den Fehlern seiner Orchestermitglieder in die Proben einbeziehen, sie erkennen, in einer angemessenen Gesprächssituation außerhalb des Tuttis benennen (z.B. in der Stimmgruppe, zu dritt mit dem Stimmführer, unter vier Augen) und Übestrategien entwickeln helfen.31
31 Vgl. KLÖPPEL, S. 138, 118ff.

Um in diesen Situationen neben der Verantwortung für das Gesamtgeschehen individuell beratend tätig werden zu können, ist es unabdingbar, daß der Dirigent

  • selbst Orchestererfahrung hat (dies ist erfahrungsgemäß bei vielen Studierenden der Kapellmeisterklassen an bundesdeutschen Musikhochschulen nicht der Fall).
  • über gute Streicherkenntnisse verfügt.
  • Grundlagenkenntnisse in mindestens einem Holzblasinstrument, einem Blechblasinstrument und im Schlagzeugbereich erworben hat.

Darüberhinaus benötigt er die Mithilfe von qualifizierten Stimmführern, die das didaktische Konzept kennen und mittragen. Sie sollten die Individualprobleme ebenfalls wahrnehmen können und mit dem Dirigenten erörtern, um in den allein aus diesem Grund notwendigen Stimm- und Registerproben helfend einwirken zu können. Dieser Kleingruppenrahmen schafft didaktischen Handlungsspielraum auf einer Metaebene zwischen der Interaktionsebene des ganzen Orchesters und der Individualebene. Sie ist der Situation des Instrumentalunterrichts ähnlich, indem die Probleme angesprochen und ihre spieltechnische Lösung fachkundig angelegt wird. Oftmals erkennt der Betroffene aber auch, daß er mit einem Problem nicht allein steht, und daß alle Mitspieler sich beratend einbringen können. Diese Arbeitsform entspricht dann nahezu idealtypisch einer teilnehmerorientierten Didaktik und einem daraus folgenden erwachsenengerechten Lernprozeß.


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