parallel zu seiner
künstlerischen Verantwortung psychologisch und didaktisch Rechnung tragen. Die
Notwendigkeit, innerhalb der Zielgruppenarbeit der Erwachsenenbildung (hier
Laienorchesterarbeit), individuelle Beratungen und individuelle Ansprache in
ihrer Bedeutung wahrzunehmen, ist von der allgemeinen Erwachsenenbildung
auf die musikalische Erwachsenenbildung insgesamt, und somit auch auf
Laienorchesterarbeit in jedem konkreten Einzelfall zu übertragen. Der Dirigent muß
bereit sein, sich von einzelnen Orchesterspielern in die Verantwortlichkeit der
Individualebene einbeziehen zu lassen, oder sich aktiv einzubringen, wenn ein
individueller Störfaktor für das Ensemble auftritt (z.B. in bezug auf Spieltechnik,
Instrumentenqualität, Privatunterricht, Trainingsformen von Orchesterstellen). Dies
ist oft im Plenum während der Probenzeit nicht möglich, da die Assoziation
von persönlicher Kritik aus professioneller Sicht (an einem Laien) aufgrund
psychologischer Hemmschwellen der Betroffenen bei diesen vorprogrammiert
ist.30
30 Vgl. HILBERT 1989a, S. 265: »Ungerecht empfundener Tadel kann zu ungeahnten Folgen
führen. Ein Kursleiter muß es selbst auch einmal erlebt haben: In der Rolle eines
Teilnehmers im Orchester sitzen, sein (Dritt-) Instrument nur unvollkommen beherrschen
und dann vom Kursleiter auf eine lange selbst erkannte Unzulänglichkeit etwas schroff
angesprochen werden«!
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Fehler beim Musizieren sind unvermeidlich, und die Angst vor Fehlern in einem Ensemble
wird durch die permanente Öffentlichkeit – und seien es nur die Pultnachbarn – gegenüber
der privaten Häuslichkeit und der Situation im privaten Instrumentalunterricht mit einem
vertrauten Lehrer deutlich verstärkt. So muß der Dirigent den Umgang mit den Fehlern
seiner Orchestermitglieder in die Proben einbeziehen, sie erkennen, in einer angemessenen
Gesprächssituation außerhalb des Tuttis benennen (z.B. in der Stimmgruppe, zu
dritt mit dem Stimmführer, unter vier Augen) und Übestrategien entwickeln
helfen.31
31 Vgl. KLÖPPEL, S. 138, 118ff.
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Um in diesen Situationen neben der Verantwortung für das Gesamtgeschehen
individuell beratend tätig werden zu können, ist es unabdingbar, daß der Dirigent
- selbst Orchestererfahrung hat (dies ist erfahrungsgemäß bei vielen Studierenden der
Kapellmeisterklassen an bundesdeutschen Musikhochschulen nicht der Fall).
- über gute Streicherkenntnisse verfügt.
- Grundlagenkenntnisse in mindestens einem Holzblasinstrument, einem
Blechblasinstrument und im Schlagzeugbereich erworben hat.
Darüberhinaus benötigt er die Mithilfe von qualifizierten Stimmführern, die das
didaktische Konzept kennen und mittragen. Sie sollten die Individualprobleme ebenfalls
wahrnehmen können und mit dem Dirigenten erörtern, um in den allein aus diesem
Grund notwendigen Stimm- und Registerproben helfend einwirken zu können. Dieser
Kleingruppenrahmen schafft didaktischen Handlungsspielraum auf einer Metaebene
zwischen der Interaktionsebene des ganzen Orchesters und der Individualebene. Sie ist
der Situation des Instrumentalunterrichts ähnlich, indem die Probleme angesprochen und
ihre spieltechnische Lösung fachkundig angelegt wird. Oftmals erkennt der Betroffene
aber auch, daß er mit einem Problem nicht allein steht, und daß alle Mitspieler sich
beratend einbringen können. Diese Arbeitsform entspricht dann nahezu idealtypisch einer
teilnehmerorientierten Didaktik und einem daraus folgenden erwachsenengerechten
Lernprozeß.
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