Kayser-Kadereit, Claudia: Das Laiensinfonieorchester im Horizont von Anspruch und Wirklichkeit

Die deutsche Wiedervereinigung lenkte den Blick des Verbandes auf Ostdeutschland. Bereits vom 8.-11. Juni 1990 fand ein ›Orchestertreffen Ost-West‹ in Heusenstamm bei Frankfurt a.M. statt. Austausch und Kontakt an der Basis konnte leider mangels Teilnahme von westdeutschen Orchestern kaum stattfinden. Im wesentlichen konzertierten ostdeutsche Ensembles. Dennoch bewirkte diese sofortige Öffnung und Hilfestellung des Verbandes gegenüber den ihm damals bekannten 37 DDR-Laienorchestern in der Folgezeit einen stetigen Zuwachs an BDLO-Mitgliedsorchestern aus den neuen Bundesländern.²⁴

²⁴ 1997 waren es 43 Orchester (ohne Berlin) mit 1.011 Spielern; Berlin gesamt: 11 Orchester mit 418 Spielern. (CONRADI, FB 2)

Die Aktivitäten des Vorstandes richten sich auch auf europäische und weltweite Dimensionen: 1988 fand das 1. Europäische Orchestertreffen in Friedrichshafen am Bodensee unter Federführung des BDLO statt.²⁵

²⁵ Ausgiebige Würdigung durch SCHÄFER und LINDER in DLO 1988. »Der Grundgedanke für die Konzeption der Friedrichshafener Tagung vom 16. bis 19. Juni 1988 ist formelhaft der, die persönliche Begegnung von Menschen unterschiedlicher Nationalität im gemeinsamen Musizieren zu verbinden mit der nationalen Selbstdarstellung in Orchestern und Werken.« (SCHÄFER, in DLO 1988, Heft 1, S. 11.); »Eine solche Veranstaltung war insgeheim von den Mitgliedern der Liebhaberorchester vielleicht immer ersehnt worden. In ihr verwirklicht sich der Gedanke an ein geeintes Europa sinnfällig.« (LINDER, in DLO 1988 B, Heft 2, S. 17–18.)

Vorausgegangen war eine schweizerische Initiative zu einer europäischen Föderation nationaler Laienorchesterverbände, die 1985 – anläßlich des ›Europäischen Jahres der Musik‹ – zur Gründung der ›Europäischen Vereinigung von Liebhaberorchestern‹ (ELV) geführt hatte. Ihr gehören mittlerweile 12 nationale Organisationen an.²⁶

²⁶ Schweiz, BRD, Niederlande, Frankreich, Luxemburg, Liechtenstein, Tschechien, Dänemark, Norwegen, Finnland, Schweden und Island.

Der Vorsitz wechselt, von 1991–1997 war er in deutscher Hand beim BDLO, derzeit liegt die Verantwortung beim niederländischen Verband. 1991 (Solothurn/Schweiz), 1994 (Brünn/CSR) und 1996 (Leiden/Niederlande) fanden weitere Europäische Orchestertreffen statt, an denen einige BDLO-Orchester geschlossen oder durch Einzelmitglieder teilnahmen. Im Mittelpunkt dieser Treffen stehen sog. ›ad-hoc-Orchester‹, die vorgegebene Werke einstudieren und in Workshop-Konzerten aufführen. Damit scheint das historische Konzept der BDLO-Bundestagungen,²⁷

²⁷ Vgl. Kap. 4.3.

die sich von der Orchesterpräsentation zur Projektarbeit mit Zufallsbesetzung durch einzelne Instrumentalisten der Mitgliedsorchester gewandelt haben, auf die europäische Plattform übertragen worden zu sein. Die Arbeitsweise entspricht damit auch den Gepflogenheiten von internationalen Jugendorchestern oder den internationalen Orchesterkursen freier Anbieter, wie beispielsweise des Internationalen Arbeitskreises für Musik (IAM) e.V. Kassel (vgl. Kap. 3.6.).

Über Europa hinaus hat der BDLO in den 1990er Jahren Kontakte nach Japan geknüpft, so daß deutsche Orchestermitglieder 1997 zum 25. nationalen Orchesterfestival des Japanischen Amateurorchester-Verbandes (JAO) nach Hamamatsu eingeladen waren. Auch hier arbeiteten zwei ›Festival-Orchester‹ parallel auf ein Abschlußkonzert hin.²⁸

²⁸ Der Hinweis CONRADIS, »den deutschen Teilnehmern fiel vor allem die Orchesterdiziplin angenehm auf: Pünktliche Anwesenheit aller Spieler, Aufmerksamkeit und Stille bei Ansagen des Dirigenten etc. Auch hatten sich die japanischen Spieler sorgfältig auf die Werke vorbereitet« läßt den Rückschluß zu, daß dies bei entsprechenden deutschen oder europäischen Veranstaltungen nicht immer so ist. (CONRADI/WESKE, in DLO 1997, Heft 2, S. 5.)