- 35 -Kietz, Nicola: Musikverstehen und Sprachverstehen 
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2.3.2.3 Musik und Verwendungszusammenhang

Musikalische Kompositionen und ihr Gehalt sind nicht zu trennen von Entstehungskontext, Rezeptionsgeschichte und allgemeinem Verwendungszusammenhang, die allesamt konkrete Einflüsse auf die in den letzten Kapiteln beschriebenen innermusikalischen Bezüge haben. So konnten z.B. zur Zeit der Wiener Klassik im Zuge des Humanitätsgedankens nur einfache Strukturbildungen - u.a. die musikalische Periode - zur kompositorischen Norm werden.
Auch Ereignisse aus der Rezeptionsgeschichte können ein musikalisches Werk regelrecht "beschriften". Ein Beispiel dafür ist die regelmäßige Verwendung von Liszts "Les Préludes" zu Beginn der Wochenschauen im Dritten Reich. Sie stellt der Komposition bestimmte konnotative Bedeu-tungen zur Seite, die sie ursprünglich nicht mitbringt und die auch ohne den genannten Kontext bestehen bleiben. Diese "Beschriftung", deren Ursache also im funktionalen Verwendungszusammenhang liegt, ist zudem gebräuchliches Mittel in der Werbung oder läßt fragmentarische Melodien als Kennmelodien für Rundfunk- und Fernsehsendungen erscheinen (s. indexikalischer Zeichencharakter, Kap. 2.3.2.1).
Der Gebrauch von Zeichen und Strukturen trägt somit wesentlich dazu bei, neue Bedeutungen zu bilden und alte abzuwandeln. Der bei späterem Hören wahrnehmbare Verweis auf den ursprünglichen Gebrauch erstreckt sich auf alle kontextuellen Variablen, u.a. den Ort der Verwendung (z.B. Orgelklang als kirchliche Erscheinung) und den funktionalen Gebrauch (z.B. Erkennen eines bestimmten Liedes als Nationalhymne). Dieser Prozeß stellt aber keineswegs eine "Einbahnstraße" dar, soll heißen: Es ist nicht gleichgültig, welche Musik ich in einen bestimmten funktionalen Zusammenhang stelle, da sie, wie in den Kapiteln 2.3.2.1 und 2.3.2.2 dargestellt, immer auch schon von sich aus interne vorsprachliche Bedeutungsaspekte mitbringt. Beispielsweise wäre eine Musik im Zärtlichkeitsgestus ziemlich schlecht geeignet für einen Werbespot, der die Schmutzlösekraft eines Reinigungsmittels propagieren soll.
Beim Prozeß der musikalischen Bedeutungskonstitution entsteht also vielmehr eine Wechselwirkung, eine Verzahnung interner und externer Komponenten, wobei die von den innermusikalischen Bezügen der Werke eingebrachten Bedeutungselemente immer schon auch


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