- 44 -Kietz, Nicola: Musikverstehen und Sprachverstehen 
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Diese Erkenntnis ist u.a. das Verdienst der philosophischen Hermeneutik, die bereits im 19. Jahrhundert das Verstehensproblem zu einem Hauptanliegen der Geisteswissenschaften werden ließ. Das dialektische Verhältnis zwischen Objektstruktur und Wissensstruktur des Subjekts kommt in dem Begriff des hermeneutischen Zirkels zum Ausdruck. Die dahinter stehende Idee ist die, daß der Grad von Erfahrung mit dem jeweiligen Objekt, d.h. das Wissen über seine konventionalisierten und invarianten Eigenschaften,

Diese Art von Wissen taucht in der Kognitiven Psychologie unter dem Begriff des Schemas auf und wird in Kap. 3.2.2.4 näher beleuchtet.

die Erkenntnismöglichkeiten auf bestimmte Perspektiven eingrenzt. Diese stellen die Grundlage dar für die Bildung allgemeiner Erwartungen, welche wiederum die Basis abgeben für die Integration und Aneignung der neuen, von außen kommenden Impulse. Verstehen kann also nur stattfinden, wo eigenes Wissen in den neuen Impulsen durchschimmert. Letztere können dabei auch die bisherige Wissensstruktur verändern, z.B. spezifische Details hinzufügen. Die perspektivische Zuwendung zum Neuen wird in der Hermeneutik als Horizontabhebung, die Aneignung als Horizontverschmelzung bezeichnet.

Das beschriebene dialektische Verhältnis von Objekt- und Subjektanteilen ist zu Anfang dieses Jahrhunderts ebenfalls in der Experimentalpsychologie erkannt worden. Die mit dem Namen des Schweizers Piaget verbundenen Begriffe der Assimilation und Akkomodation (vgl. z.B. Piaget 1964) drücken im wesentlichen den gleichen Sachverhalt aus, wie er oben im hermeneutischen Zirkel durch Zuwendung und Aneignung beschrieben wurde.

Überhaupt ist es die Psychologie, die gerade in den letzten 30 Jahren im Hinblick auf eine detaillierte Erklärung der Verstehensleistung des Menschen eine Schlüsselstellung eingenommen hat. Das folgende Teilkapitel befaßt sich daher ausführlicher mit psychologischen Erklärungsansätzen, vor allem solchen, die im Gefolge der immer mehr an Boden gewinnenden Kognitionswissenschaft entstanden sind.


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