- 170 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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ohne die Faszination der eigenen Entdeckung und Verwirklichung kann man nicht musizieren.

Das dickste Heft käme von unserer Praktikerin. Denn sie würde viel Zeit und Arbeit investieren, um aus dem riesigen Schatz ihrer Erfahrungen auch nicht das kleinste Detail, die kleinste Erinnerung an gelungenes Lernen zu verlieren. Dabei würde sich das Bild einer bestimmten Lehrerpersönlichkeit mit einem dazugehörigen Schülerkreis in einem besonderen Umfeld und zu einer bestimmten Zeit herausbilden. Dieses Konvolut wäre so etwas wie die Schule für den eigenen Schülerkreis, bei den heutigen Möglichkeiten sogar im Selbstverlag machbar. Aber ich bin sehr skeptisch, ob mit diesem „privaten“ Lebenswerk eine Kollegin anderswo oder ein Kollege in anderem Alter und mit unterschiedlicher Ausbildung, Erfahrung und Zielvorstellung arbeiten könnte oder möchte.

Keine der drei gedachten Schulen alleine würde uns glücklich machen.

Aber auch wenn wir nun das dünne, das mitteldicke und das sehr dicke Exemplar zusammenbinden könnten, hätten wir noch nichts erreicht, selbst wenn es jemand gelingen würde, das Ganze wie einen Zopf zusammenzuflechten. Denn diese Schule paßte in keine Tasche und in keinen Kopf.

Und hier käme dann spätestens der vierte unsichtbare Tischgenosse ins Spiel – nämlich der Lehrer, der damit arbeiten müßte.

Wenn ich mir einige neu erschienene Schulen anschaue, finde ich die auskomponierte Vollständigkeit bemerkenswert. Nach dem oben Gesagten verstehe ich auch die Zusammenhänge: da man den Stoff nicht eben beliebig anhäufen konnte, mußte man ihn strecken und kam so wieder zu der Form einer mehrteiligen Schule, wie wir sie von früher kennen. Der erste Band endet nun vielleicht auf Seite achtzig – dort, wo sich eine Schule der fünfziger Jahre bereits auf Seite achtzehn befand!


Die Folge ist eine völlig andere Zeitplanung, die fast eine Verdopplung der damals angenommenen Lerndauer voraussetzt, wenn am Ende der Einstieg in die Mittelstufe erreicht sein soll. (Ab dieser Ziellinie halte ich eine Schule in einem lehrergeführten Unterricht ohnehin für überflüssig. Sie würde nur eine grotesk beschränkte Materialsammlung sein.)

Hier könnten wir nun in eine unselige Diskussion geraten – unselig, weil sie die Instrumentalpädagogen schon einmal in fast getrennte Lager gespalten hat. Überspitzt gesagt ging es darum, entweder möglichst früh und effizient im Einzelunterricht instrumental auszubilden mit dem Ziel: Preise bei „Jugend Musiziert“, Jungstudent, Meisterklasse, Karriere – oder aber: vorsichtige, allgemein pädagogisch begründete Entwicklung in einer spielenden Gruppe – Ziele: persönliche Entfaltung, Sensibilisierung im musischen Bereich, Werte-Erfahrung im sozialen Miteinander. Hier ist das Instrument eher Mittel zum Zweck.

Natürlich ist eine Polarisierung dieser Ziele unsinnig und schädlich. Wie schwer aber ein gemeinsamer Nenner oder ein Mittelweg zu finden ist, wird gerade an der Frage nach der „richtigen“ Schule deutlich. Sollte es drei Typen geben: für


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