- 169 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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Ingolf Henning


 

Eine Instrumentalschule schreiben...


Ich stelle sie mir an einem runden Tisch vor: die Praktikerin, den Methodiker, die Komponistin. (Die geschlechtliche Zuordnung ist zufällig und dient lediglich der Vereinfachung.) Außerdem ist noch eine vierte Person unsichtbar anwesend, die aber in dieser Runde wenig zu sagen hat, obwohl sie wichtig genug dafür wäre: der Lehrer.


„Ich möchte auf Seite 17 dieses Stück bringen, es wird erfahrungsgemäß immer sehr gerne gespielt“, sagt die Praktikerin. „Es paßt aber nicht hier hin“, sagt der Methodiker, „wir müssen nämlich die Achtel weiterführen und dann den Achtel­auftakt vorstellen, etwa so.“ „Aber doch bitte nicht schon wieder in C-Dur mit D7-Kadenz“, sagt die Komponistin, „ihr bringt es noch so weit, daß unsere Schüler einen Sekundklang für falsch und eine Terz für richtig halten.“

Im besten Fall können sich die Drei einigen.

Bei vielen Instrumentalschulen scheint das aber nicht so zu sein, und ob überhaupt alle drei Personen mitgewirkt haben, ist mehr als fraglich. Vor allem der Stuhl unserer Komponistin bleibt allzuoft unbesetzt. Der komponierende Praktiker, der „seine Methode“ für Methodik hält, ist weit verbreitet. Und dabei gibt es doch durchaus gute Beispiele für eine fruchtbare Zusammenarbeit anstelle der üblichen Personalunion.


Immerhin hat sich das optische Erscheinungsbild neuer Schulen erheblich verbessert. Alles ist bunt, anregend und lustig geworden – manchmal so sehr, daß man die Noten kaum noch sieht im farbigen Gewimmel.


Was käme wohl dabei heraus, wenn jede unserer fiktiven Personen eine eigene Schule schreiben würden? Eine hübsche Sammlung kleiner lebendiger „Musikgeschichten“ könnten wir von der Komponistin erwarten. Vielleicht wären einige sogar methodisch interessant, aber ohne einen didaktischen Plan, der alle Lernbereiche einschließen müßte, wäre das eben keine Schule.

Ein dickeres Heft würde der Methodiker abliefern. Aber ich fürchte, daß das imponierend genau ineinandergreifende Räderwerk, vorgeplant vom kleinsten Zahnrädchen an, eher abschreckend wirkte. Es käme mir vor wie ein Wecker, dem man das Gehäuse, die Zeiger und das Läutwerk genommen hat und dessen nackte Technik nun sinnlos vor sich hin tickt. Ohne probieren, erleben und ändern,


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