- 30 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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hörte, hätte Gleiches auch für die Schulen seiner eigenen Zeit – und für viele Schulen unserer Tage – sagen können, zumindest, was die Praxis angeht.

In den 60er Jahren rückte die Kestenbergsche Forderung, das Schulfach „Singen“ durch „Musikunterricht“ zu ersetzen, erstmals durch die massenhafte Verbreitung preiswerter Wiedergabe- und Aufnahmegeräten in greifbare Nähe. Es war plötzlich denkbar geworden, alle „gegenwärtige Musik“ hörbar zu machen und zu vergegenwärtigen.

Ich muß das noch einmal mit einer Begebenheit aus diesem Raum erklären:

Kurt Sydow bat mich eines Tages (für eine Lehrerfortbildungsveranstaltung) um ein Tonband mit „gegenwärtiger Musik“. Er kannte meine – in Sachen neuer Musik ganz gut sortierte – Schallplattensammlung. So stellte ich ihm ein Band mit Beispielen zwischen „Tristan-Akkord und Elektronischer Musik / musique concrète“ zusammenund bekam es einige Tage später mit der Frage zurück, ob sich denn „gegenwärtige Musik“ nur auf diesen kurzen Zeitabschnitt beschränke, ob da nicht eher Beispiele der gesamten auf Tonträger reproduzierten Musik in Frage kämen.

Das war es: Mein eigener Ansatz war von der Musik ausgegangen, die auf technischen Geräten entstanden war oder die auf solchen Geräten ansatzweise auch produziert werden konnte. Die allgemeine Entwicklung aber – und vielleicht mehr noch: die schulischen Bedürfnisse – richteten sich auf das, was inzwischen an Reproduziertem verfügbar war.

Die Vorstellung, durch Musik für Geräte könne eine ganz neue Hörkultur entstehen, war wohl ein Irrtum. Nicht einmal die gerätespezifische Interpretation älterer Musik, die Strawinsky schon in den 20er Jahren gefordert hatte, setzte sich durch. Statt dessen haben wir heute die immer gleichen – perfekt erscheinenden – Reproduktionen unterschiedlicher Güte, die ebenso hochglanzpoliert sind, wie das Material, in das sie gepreßt wurden – Silberlinge, deren vorwiegender Zweck darin besteht, versilbert zu werden.

Linus Pauling sagt:

Wissenschaft ist Irrtum, – auf den letzten Stand gebracht.

Und ich sage:

Ein biografisches Kaleidoskop ist ein Ding, an dem man solange dreht, bis aus Einzelteilen ein schönes Bild entsteht, das schon beim nächsten Dreh noch besser werden kann – oder auch schlechter.

Einen solchen weiteren Dreh will ich Ihnen jetzt aber ersparen.


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