- 358 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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Diese Zeilen verraten eine ambivalente Haltung, die als zeittypisch gelten kann. Die mangelnde editorische Betreuung des Händelschen Werks tat ein übriges, um die Vorurteile bestehen zu lassen. Karl Franz Friedrich Chrysander nahm seine 93bändige Gesamtausgabe erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Angriff, wobei er die Druckvorlagen in einer kleinen Druckerei herstellte, die sich in seiner Wohnung befand. Die Hallische Händel-Ausgabe (HHA) wurde erst 1955 ins Leben gerufen und liegt fast ein halbes Jahrhundert später immer noch nicht vollständig vor. Die bislang edierten Opern der HHA sind die einzigen, die im 20. Jahrhundert herausgegeben wurden, sieht man von dem Reprint der Chrysander-Ausgabe durch einen amerikanischen Verlag ab.


1920 wurden in Deutschland, genauer gesagt in Göttingen, Händels Opern wiederbelebt, doch mit derart einschneidenden Veränderungen, daß ein tieferes Verständnis für die große Opernkunst Händels nur bedingt entstehen konnte. Erst in den letzten Jahren hat sich eine Wandlung vollzogen, und man spürt etwas von den „Sachen, die tief ins Herz dringen“. Die wachsende Zahl der Einspielungen weist auf ein sich vergrößerndes Publikumsinteresse hin. Opernaufführungen sind bei Händel-Festspielen rasch ausverkauft. Besondere Aufmerksamkeit erzielen die Versuche von Dirigenten und Regisseuren, mit alten Instrumenten zu arbeiten, die Musik, die formale Anlage und die Figuren auf der Bühne in Gestik und Kostümen so weit wie möglich an die originalen Aufführungen im 18. Jahrhundert anzugleichen sowie die Kastratenrollen mit Kontratenören zu besetzen. Oskar Hagens Überzeugung, wonach Händels Opern nur durch eine einschneidende „Modernisierung“ lebensfähig seien, haben sich ins Gegenteil verkehrt. Aber auch der Versuch, beispielsweise von Hugo Leichtentritt, eine lineare Verbindung von Händels Opern mit Gluck, Beethoven und Wagner zu ziehen und eine musikhistorische Kontinuität zu unterstellen, ist ebenso problematisch, wie überhaupt Vorstellungen einer sich in der Musikgeschichte ständig verbessernden Kette von Innovationen im Bereich der Musikgeschichte inzwischen als überholt gelten können. Händels Opern bieten für diejenigen, die sich ihnen unbefangen nähern, einen nahezu unerschöpflichen Fundus an Überraschungen, Entdeckungen und neuartigen Einblicken.


Leider existiert im deutschen Sprachraum keine detaillierte Einführung hinsichtlich der musikalisch-dramaturgischern Analyse. Die jüngst erschienene Monographie zur Oper Rodelinda von Ulrich Etscheit bildet zusammen mit Reinhold Kubiks 1982 veröffentlichter Monographie zu Rinaldo eine wohltuende Ausnahme; beide behandeln aber lediglich eine einzige Oper. Wer sich in den Aufbau Händelscher Opern im allgemeinen vertiefen möchte, sei auf die große Studie Handel’s Operas 1704–1726 verwiesen, die der Händel-Experte Winton Dean zusammen mit Merrill Knapp verfaßte. Die Autoren gehen auf alle 16 Opern detailliert ein, die in diesem Zeitraum geschrieben wurden, behandeln ausgesuchte Arien genauer und fassen alle bisher gewonnenen Kenntnisse


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