- 379 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (378)Nächste Seite (380) Letzte Seite (456)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Hans Christian Schmidt-Banse



Den Schüler einfach mal dort lassen, wo er sitzt ...

Zum Lehrervortrag im Musikunterricht




Für Pauline, der ich noch viele Geschichten werde erzählen müssen


Zweifellos ist das gut und richtig, wenn Schüler und Lehrer gemeinsam den Dingen auf den Grund gehen. Wenn sich alle, vom Lehrer inspiriert, über einen Notentext, über ein schriftliches Dokument oder über eine Buchseite beugen, um dann im freien (und dennoch stets gelenkten) Gespräch zu einem Ziel zu gelangen, zu einer Einsicht, zu einem Ergebnis, zu einer Definition, zu einem analytischen Überblick, was weiß ich. In alter Begrifflichkeit wurde, was heute in den Schulstuben gang und gäbe ist, die „Hebammen-Methodik“ genannt und funktioniert auch so, wenn ich mal im Bild bleiben darf: der Lehrer legt den Samen, ihn (weil er hoffentlich auf fruchtbaren Geistesboden gefallen ist) trägt der Schüler aus, dann setzen die intellektuellen Preßwehen ein unter Hilfestellung des Lehrer, der die gedanklichen Atemtechniken überwacht, und schwupps ist das Erkenntniskind zur Welt gebracht, wird dem Schüler in den Arm gelegt, der darf’s dann stolz wiegen, derweil der Hebammenlehrer ihn belobigt, indem er eine 1 ins Zensurenbüchlein malt. Das Kind wandert anschließend in die Kursmappen-Krippe und ward nie mehr gesehen. Musikpädagogische Geburtshilfeanleitungen sind voll von solchen Tips, tragen mal den Namen „Schülerorientierung“, zieren sich auch mit der Überschrift „Handlungsorientierung“ oder firmieren zuweilen unter „Interaktiver Unterricht“. Man erlaube mir, aufs wörtliche Zitieren solcher im staubtrockenen Kanzlei-Deutsch verfaßten lebensbehilflichen Imperative mit ihren ewigen Aufmachern (die mich fatal an trockene Chaconnen erinnern) zu verzichten, mit ihren notorischen „Bedenkt man, daß ...“ oder „Nicht nur, ... sondern auch“ oder „Einerseits, ... andererseits“ bzw. „Im täglichen Unterricht macht man immer wieder die Erfahrung, daß ...“. Wissenschaftstheoretisch stehen diese Dinger auf wabbeligen Füßen, denn es wird einfach und ohne weitere Begründung gesetzt, Schülern lernten dann um so effektiver und lustvoller, wenn sie dieses Lernen selbst organisierten, möglichst am besten noch, indem sie das gar nicht bemerkten, daß sie lernten; Schülern lernten mit größtem Gewinn, wenn alles Lernen von ihnen ausginge und wenn sie, frömmster Wunsch unter allen frommen, das Lernen lernten. Hat man’s je be-


Erste Seite (1) Vorherige Seite (378)Nächste Seite (380) Letzte Seite (456)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 379 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik