- 11 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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In der Liste der wissenschaftlichen Arbeiten gibt es anschließend eine auffallende Lücke, ein Schweigen von mehr als zwei Jahren. Man kann sich in Bezug auf die biografischen Gründe allerlei dazu denken. Wenn man aber das Vorher und das Nachher vergleicht, wirkt diese Lücke so, als hätte Sabine Giesbrecht damals als Wissenschaftlerin tief Luft geholt. Was sie in den Folgejahren in kurzen Abständen vorlegte, räumte gründlich auf mit der heilen Welt der Strukturanalysen und der Wissenschaft im Elfenbeinturm. Als Erstes erfolgte der Schritt in die Musikpädagogik, mit einem Beitrag für die Zeitschrift Musik und Bildung 1972. Musikpädagogik war damals ein Arbeitsgebiet für Musikhistoriker zweiten Ranges, für späte Vertreter der musischen Erziehung, für Gutmenschen und übrigens auch für Frauen. Anfang der 70er Jahre wurde sie aber zu einem spannenden Diskussionsforum für alle, die die fundamentale Kritik der Studentenbewegung in die wissenschaftlichen Inhalte hineintragen und für eine Wahrnehmung von gesellschaftlicher Verantwortung sorgen wollten, und zu einem wichtigen Impulsgeber für die eher beharrungswillige historische Musikwissenschaft.

Unter dem harmlos klingenden Titel Zwei Modelle musikalischer Früherziehung las man nun einen Text, der keineswegs so klang, wie man es von einer musikwissenschaftlich vorgebildeten Frau und jungen Mutter erwartete. Anhand eines Vergleichs zwischen dem Früherziehungsprogramm des Verbandes Deutscher Musikschulen und einer alternativen Klavierschule von Klaus Runze wurden Fragen und Forderungen gestellt, die mit der herkömmlichen Musikpädagogik nicht mehr viel gemeinsam hatten: Ist Musikpädagogik nur dazu da, ohnehin Privilegierte weiter zu fördern? Ist es ein richtiges Verständnis vom Elementaren, wenn Vorschulkinder schrittweise von der Kuckucksterz über Pentatonik schließlich zu den sogenannten Stammtönen und der Beherrschung von C-, G- und F-Dur-Tonleitern geführt werden? Hat Musikunterricht nicht vorrangig die Aufgabe, ein »freies, schöpferisches Umgehen mit der Musik«3

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Sabine Schutte, Zwei Modelle musikalischer Früherziehung, in: Musik und Bildung, 4. Jg. (1972), H. 7/8, S. 357.
zu fördern, statt Kinder »mit besonders ausgeprägter Phantasie und Gestaltungsfreudigkeit« als »Störenfriede«4
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Ebenda.
auszugrenzen? »Die Vorstellung von einem windgeschützten, sozusagen exterritorialen Terrain«, so schreibt Sabine Giesbrecht, »in dem für die Vier- bis Sechsjährigen die Welt nicht nur morgens um 7 Uhr noch in Ordnung zu sein scheint, ist ideologisch, weil die Kinder in einer Umwelt heranwachsen, deren Widersprüche und Konflikte sie wahrnehmen und auf die man sie vorbereiten sollte«5
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Ebenda, S. 359.
. Zu dieser ideologischen Verengung, so Sabine Giesbrecht, gehöre auch die Aussparung all dessen, »was sich in der Kompositionsgeschichte der letzten 50 Jahre zugetragen hat und Bestandteil der heutigen gesellschaftlichen Realität ist, zu deren Verständnis eine fortschrittliche Musikpädagogik

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