gesellschaftsorientierte musikalische
Kunst der Gegenwart ist in ihrer Aussage noch zu wenig erschlossen worden.
Musikwissenschaftler sind aufgefordert, diese Äußerungen verständlich zu machen und zu
verbreiten, dem Verstehen dieser Kunstäußerungen in unserer Zeit Wege zu
eröffnen.
Zweitens sei daran erinnert, daß man in Osnabrück nach dem 11. September 2001 ein
Sinfoniekonzert mit amerikanischer Musik für die angemessene Reaktion hielt.
Betroffenheit und Erinnerung, ohne die eine Hochkultur an Wert verliert, kann ohne
Musik kaum stattfinden. Hat man nicht im Bundestag ein Streichquartett gesehen, als in
der vergangenen Woche an den 17. Juni 1953 erinnert wurde? Was wurde gespielt? Das
Andante con moto aus Beethovens frühem Streichquartett op. 18, Nr. 3. Auf die
Frage, welche Musik zu solchen Anlässen wirklich sinnstiftend ist und nicht
bloß den feierlichen Rahmen liefert, sollten Musikwissenschaftler Antworten
geben.
Drittens dürfte es als unbestritten gelten, daß Opern aus früheren Jahrhunderten
eine Aussage zu heutigen gesellschaftlichen Prozessen treffen können. Durch
spezifische Inszenierungen wird der Gegenwartsbezug herzustellen versucht.
Auch in jeder anderen Musik, in Oratorien und in Liedern und Symphonien aus
vergangenen Jahrhunderten lassen sich vielfach aktuelle Bezüge entdecken. So darf
die Vermutung geäußert werden, daß auch in Friedensmusik älterer Zeit eine
gegenwärtige Bedeutung entdeckt werden kann. Das konnte an der Aktualität der
Brossard-Komposition, wenn auch hier nur am Text, aufgezeigt werden. Entsprechende
Bezüge auch in der Musik aufzudecken, sei die Aufgabe von Musikwissenschaft – einer
Musikwissenschaft, die den Kontakt mit dem Leben nicht vollends verloren
hat!